Zugblockade im Rollstuhl

■ Behindete demonstrierten im Bahnhof Vegesack gegen die Ignoranz der Bahn-Planer

„Das ist doch keine Art!“ Der Dienststellenleiter vom Bahnhof Vegesack, Dittjen, reißt am Ärmel eines Rollstuhlfahrers, der auf zwei mobilen Alu-Rampen vom Bahnsteig 1 am Bahnhof Vegesack auf die Gleise herunterfahren will. Mit vereinten Kräften gelingt es schließlich fünf RollstuhlfahrerInnen, unter ihnen der Bürgerschaftsabgeordnete Horst Frehe, sich dem verhalten -aggressiven Griff des Bahnhofsvorstehers zu entreißen. Sie überwinden den steilen Abgrund, stellen sich auf das Bahngleis und hindern den kurz zuvor eingefahrenen Zug an seiner Abfahrt nach Bremen. Dittjen winkt die Bahnpolizei zu Hilfe. Zeugen des Geschehens auf dem Bahnsteig: Rund fünfzig Demonstrantinnen auf Beinen und Rädern.

Sie waren gestern nachmittag mit PKWs aus Bremen, Bremen -Nord und Bremerhaven angereist, um zusammen mit Behindertenvereinen und dem Bremer Fahrdienst-Forum gegen einen erneuten Schildbürgerstreich im Personennahverkehr zu demonstrieren: Ab 1991 sollen zwischen Hauptbahnhof und Vegesack die sogenannten City-Bahnen zum Einsatz kommen. Das sind umgebaute Nahverkehrswagen mit mehr Komfort für die Fahrgäste. Ein Wagen soll auch für Rollstuhlfahrer geeignet sein. Die Bahnsteige sollen erhöht werden, aber so unzureichend, daß ein Einstieg ohne fremde Hilfe weiterhin nicht möglich sein wird.

Die RollstuhlfahrerInnen blockieren die Gleise, zwei Demonstranten haben die Lok bestiegen und halten ein Transpa

rent „City-Bahn nicht ohne uns“. Zwei Bahnpolizisten rücken an und heben eine Demonstrantin ächzend und stöhnend auf den Bahnsteig. Das reicht ihnen. Die anderen werden unter großem Widerstand unsanft auf die andere Seite des Gleises geschoben und von den Bahnpolizisten zum Zug hin abgeschirmt. Die Transparenthalter treten freiwillig den Rückzug an, und der Zug rollt langsam mit 10minütiger Verspätung gen Bremen.

Wer als RollstuhlfahrerIn mit dem Zug nach Bremen-Nord fährt, kann böse Überraschungen erleben: Zwei Bahnbeamte braucht es, um sie auf den „Rüttelwagen“ zu heben, ein seit 20

Jahren ausrangierter Gepäcktransporter. Mit dem werden sie dann zum Gepäckwagen gefahren und in den Zug verfrachtet. Aber nach 18 Uhr und an Wochenenden arbeitet niemand mehr auf dem Bahnhof. Dann muß die RollstuhlfahrerIn wieder zurückfahren oder sich vom Schaffner herabheben lassen. Da passiert es dann auch, daß jemand auf den Boden gesetzt wird, daß mal ein Rollstuhl abrutscht. „Wer nicht ein bißchen couragiert ist“, sagt eine Betroffene, fährt wieder nach Bremen zurück“. Auch den Bediensteten ist diese Art der Kundenbetreuung unangenehm. Eine Rollstuhlfahrerin, befragt nach ihren Reisegewohnheiten:

„Ich fahre nie mehr mit dem Zug. Das ist mir zu blöd. Außerdem gibt es keine Toilette.“

Die Forderungen der Rollstuhl-BenutzerInnen an die Bahn: Entweder die Erhöhung der Bahnsteige auf Fahrzeugniveau und Überbrückung des verbleibenden Seitenabstandes durch eine fahrzeuggebundene Klappe oder der Einbau von Hebebühnen. Hierfür hat die Bahn ein zusätzliches Gutachten geplant. „Nicht auf dem Papier,“ so fordern die Betroffenen, „sondern praktische Erprobung“ auf der City-Bahn-Strecke. Und: „Wir sind sicher, es geht nicht um die Machbarkeit - es geht um das Wollen!“

Beate Ramm