NIX MIT FREIHEIT

■ „Labyrinth Freiheit“ im Theater Zerbrochene Fenster

Da kommt der Rattenfänger, platzt zwischen plätschernde Aquarienfische und Foyergespräche und führt die versammelte Gemeinde kreuz und quer durch das Theater, zuerst in den Garderobenraum zum Prolog. Dann geht es im Gänsemarsch zu Revolutionsmusik in den eigentlichen Aufführungsraum. Hinter dem wird sich im dritten Akt ein weiterer Raum öffnen. Die Musiker ziehen rechts neben der Bühne auf. Irgendwann auf dem Weg hat sich das Orientierungsvermögen verabschiedet. Das Theater ist zum Irrgarten geworden. In der neuen Eigenproduktion des Theaters Zerbrochene Fenster geht es um das „Labyrinth Freiheit“, in dem sich die Betreiber verschiedener Emanzipationsversuche hoffnungslos verirren.

Seit dem Geburtstag der Französischen Revolution ist es schwer Mode, Geschichte auf die Off-Bühnen zu bringen. Aufklärung, Menschenrechte, aufstrebendes Bürgertum - all die Schlagworte sitzen ja lose in den Köpfen, so daß auf den Brettern nicht mehr reflektiert werden muß, warum unsere Zeitrechnung 1798 beginne. Im Theater Zerbrochene Fenster werden die Ansätze, die Idee Freiheit Tat werden zu lassen, in vier Bildern vorgeführt. Das erste malt ein Szenario von 1798. Danton und Robespierre erklimmen abwechselnd eine Kanzel, denken dort laut, Marie-Antoinette sitzt mit Zofe in der Ecke und denkt leise. Madame Corday ermordet Marat, der Rest stirbt durch Schüsse aus dem Off.

Die Aufführung eilt weiter in das Jahr 1924, um die restlichen Exempel gemäß der These von der beschleunigten Geschichte im 20. Jahrhundert abzuwickeln. Erste Station ist hier der Tempel, in dem sich die Surrealisten um ihren Kopf Breton scharten. Sie zelebrieren die Freiheit des künstlerischen Geistes. Als man sich über der Frage nach dem Weg zur Freiheit, der Entscheidung zwischen freischaffendem Individualismus oder Dienst in der Kommunistischen Partei, überwirft, ist Bretons Devise: „Wenn der Tag der Revolution kommt, sind wir bereit. Bis dahin tun wir unsere Arbeit.“ Die Gruppe zerfällt.

Der nächste Halt wird in den Kriegsjahren gemacht: Die Wissenschaft hat die Grenzen der Materie durchbrochen, die Kernspaltung ist möglich geworden. Was folgt, ist bekannt und kann in seinen Ausmaßen nicht auch noch in zwei Stunden Theater gezeigt werden. Trotzdem erstrahlen wunderbunte Dias von Atombombenexplosionen, begleitet von klagendem Frauengesang; in Schwarzweiß wird die Zerstörung abgelichtet. Schön zu wissen, daß das Ensemble Dürrenmatt gelesen hat. Schließlich gelangt die Geschichtsschreibung bei der Studentenrevolte an, wo sie theaterweise gern endet. Studenten und Studentinnen kosten, gerade den Gummiknüppeln entronnen, den Geschmack von Freiheit und Abenteuer, da schlägt die Dialektik schon zu: kleine terroristische Magnesiumbomben drängen die Gruppe mit dem Rücken zu Wand. Da war es wieder nichts mit der Freiheit.

Jede Epoche wird anders gestaltet: Zwischenräume tun sich auf, Wände verschwinden. Der räumlichen Vorstellungskraft des Bühnenbildners Martin Ostrowski waren keine Grenzen gesetzt. In den angedeuteten Räumen - Convent, Tempel, Straßenecke - bewegen sich die SchauspielerInnen in Kostümen, die trotz ihrer Treue zum historischen Detail zwischen den Nähten genügend Raum für eine ausholende Körpersprache lassen. Wohlakzentuiert wie die Gesten kommen Gesang und Text, denn Worte sind es, die die Welt weiterbringen sollten. Französische Revolutionäre üben sich in Rhetorik, der Fortschritt wird zu allen Zeiten proklamiert und Gott für tot erklärt, als ob das Wort schon Tatsachen vollendete.

Der Sprachschatz, den das Ensemble unter Regie von Arne Baur-Worch aus dem Quellenmaterial gehoben hat, reicht aber nicht aus, um das überdimensionale Thema zu bewältigen. Deshalb werden „Katapulte der Denunziation“ und ähnliches Gedöns mehr abgeschossen. Nemo, der „Rattenfänger“, muß erklären. Er ist der „Mann aus dem Volk“, über den die Geschichte nur so hinwegbraust. Und damit dies ordentlich zu erkennen sei, spricht er Dialekt, Tegtmeiersches Rheinisch. In den Momenten des Stillstandes zwischen den Bildern liefert er Überblicke, gegen die jedes Schulbuch differenzierte Wissenschaft ist. Prozesse und Maschinen, alles wird personifiziert, mystifiziert, generalisiert. Geschichte ist ein „ewiger Staffellauf“, und „die industrielle Revolution stanzt sich einen neuen Gott“.

Auf einer Pauschalreise durch die Vergangenheit bleibt keine Zeit für sprachliche Genauigkeiten, erst recht nicht, um immer gern herbeizitierte Persönlichkeiten und die Rollen, die sie spielten, auszufeilen oder gar in anderem als gewohntem Licht erscheinen zu lassen. Marie-Antoinette kann nur dasitzen und über die Tragik der königlichen Ehe jammern. Sie tauscht noch das Kleid mit der Zofe und hat ihren Abgang. Die symbolische Geste muß dem Publikum reichen.

Nemo muß epilogisch ergänzen und schließlich die ganze Inszenierung durch das Labyrinth der hohen Ansprüche lotsen. Aber es gibt keinen Faden, an dem er sich langhangeln könnte. Je mehr die Vergeblichkeit seines Bemühens zu spüren ist, desto lauter und verzweifelter wird sein Geschrei. Als Fazit bleibt die Phrase: Wir müssen uns erst selbst besiegen, bevor Freiheit möglich wird.

Claudia Wahjudi

„Labyrinth Freiheit“, Fr-Mo 21 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstr.3