ERINNERN FÜR DIE ZUKUNFT

■ Sabine Weißlers Plädoyer für die Erhaltung der Bunker-Reste

Die Diskussion um das Gestapo-Gelände neben dem Martin -Gropius-Bau ist noch nicht abgeschlossen, da wird durch die Maueröffnung der Blick zum nahegelegenen „Führerbunker“ nahe dem Leipziger Platz geführt. Notwendig ist es, die beim Gestapo-Gelände gemachten Erfahrungen im Kopf zu behalten, wenn nun in einem viel weiteren Rahmen über den Umgang mit der historischen Stadtsubstanz gesprochen wird.

Auf der Fläche an der früheren Prinz-Albrecht-Straße, heute Niederkirchner Straße, dem früheren Standort des Reichssicherheitshauptamtes, mittlerweile Gestapo-Gelände genannt, sind alle Formen der schwierigen und schwankenden Versuche sichtbar geworden, mit denen man sich mit der Nazi -Geschichte auseinandersetzte. In den fünfziger und sechziger Jahren, als die Nazigeschichte noch lebendige, persönliche Lebenserinnerung war, war Ziel, alles, was erinnerte, zu vernichten. Die einen strebten dieses Abräumen der Spuren auf dem Grundstück an, um nicht mit ihrer Verantwortung konfrontiert zu werden, die anderen leitete der Wunsch, nicht ständig auf die Symbole ihres Schmerzes zu stoßen. Später sollte das nackte Gelände unter Autobahnen begraben werden.

Nach Mauerbau und fortschreitendem Vergessen des ehemaligen Zentrums, nun peripheren Stadtstückes, wurde das Gestapo -Gelände vom Gewerbe genutzt. Im Zeichen neuer Bewußtwerdung historischer Zusammenhänge faßte man im 50. Jahr nach der Machtübernahme durch die Nazis 1983 den Vorsatz, den Ort künstlerisch gestaltet zum Denkmal zu wandeln. Doch die erneute Maskierung des Ortes konnte verhindert werden. Danach wurde endlich ernsthaft nach den verbliebenen Mauerresten des Reichssicherheitshauptamtes gesucht, die Topographie der Terrorzentrale erforscht und rekonstruiert.

So wie der Ort heute erlebbar ist, vermittelt er unprätentiös direkt und im besten Sinne insprierend direkten Zugang zum Verständnis von einem wichtigen Systemteilchen des hochdifferenzierten Nazi-Systems. Anhand dieses Ortes wurden Erfahrungen gemacht: über den Nutzen und die Leistungsgrenzen künstlerischer Gestaltung (Denkmal), über die Strukturen öffentlicher Diskussionen, über Nazi-Orte, über den Umgang auch mit Gefühlen, vor allem auch Angst vor der Rückholung der Geschichte, der Täter. Denn bisher pflegte man nur das Andenken an die Opfer, die man rückhaltlos bemitleidete und mit denen man sich gut und gerne identifizieren konnte.

Für das Erinnern zu sorgen an etwas, das man verabscheut, in dem man Zeit und Geld investiert, seine Überreste zu erhalten, ohne vorsorglich hinter Anklagesentiment und proklamatorischer und entlastender Distanzierung zu verfallen, ist schwer. Genau diese Leistung muß in der Diskussion um den sogenannten „Führerbunker“, aber nicht nur um ihn, gebracht werden. Die alte/neue Berliner Mitte war eben auch Mittelpunkt der Nazi-Terrororganisation. Die ganze Erde in diesem Bezirk ist untergraben. S-Bahn-Tunnel liegen direkt neben Bunkern für die Beamtenschaft des Reichssicherheitshauptamtes, von anderen Bunkern und Tunneln weiß man aus Autobiographien. Bevor man überhaupt die letzte Spur im Zentrum gefunden hat, droht eine Stadtplanung, die ihre Geschichte nicht kennt, sie vorsorglich zu verdecken. Daimler-Benz (oder irgendein anderer) über dem Volksgerichtshof, Hauptverkehrsader und Wohnungsbau mit Einzelhandel über dem „Führerbunker“. Historisierende Rekonstruktion des Tiergartens und von Regierungsgebäuden, aber kein Hinweis auf die Germania-Planung Hitlers. Keine Erklärung, warum hier Botschaften und Krupp-Villa stehen.

Erkennen zu verhindern, verhindert auch Nachdenken und Wissen. Zu argumentieren, daß Neonazis sich den Ort des „Führerbunkers“ zum Treffpunkt machen könnten und er deshalb abzureißen sei, heißt, die Ratten im Keller zu lassen (ein solch unreflektierter Vorschlag kam bisher auch nur von einer Seite - dem Deutschen Historischen Museum!).

Die Reste des „Führerbunkers“ sind zu erhalten, sie müssen erkennbar sein, die Bezüge des Bunkers zu anderen Orten der Nazi-Organisation in der Berliner Mitte müssen nachvollziehbar sein. Und mehr als das. Es müssen klare fundierte Hinweise gegeben werden auf das, was von den Orten ausging, und was dort, wo es ankam, geschah. Das heißt, der „Führerbunker“ ist nicht der Ort der Hitler-/Goebbels -Selbstmorde - das ist eigentlich das unwichtigste - er ist ein Symbol des mörderischen Nazi-Militarismus. Es ist richtig und mutig, wenn Benedikt Brenz in der 'Zeit‘ schreibt: „Wer Stauffenberg, Olbrich, Beck, Oster, Witzleben ehrt, der darf auch die Keitels, Jodels und Reichenaus nicht vergessen...“ Und er begründet damit, eine Denkstätte über die Verbrechen der Wehrmacht an diesem Ort zu fordern.

In der langsam beginnenden Auseinandersetzung mit der Historie der Berliner Mitte wurde von Ostberliner Seite eingebracht, das Prinz-Albrecht-Gelände mit dem Bunker-Areal über den (dann begrünten) Grenzstreifen zu verbinden. Auch das finde ich einen durchaus bedenkenswerten Vorschlag.

Die Stadtplanung für eine möglicherweise neue Hauptstadt muß sich ihren Traditionen aussetzen und darf sie nicht verschwinden lassen. Das Neue - ob Dienstleistungszentrum oder Grüntangente - muß sich zu den historischen Dokumenten verhalten, hat sich in dieses Geflecht einzuordnen und es nicht zu zerreißen. Die topographische Arbeit, die archäologische Untersuchung des Zustandes der Spuren muß sofort begonnen werden, sie muß in ihren Grundzügen beendet sein, bevor die „Baumeister“ kommen.

Erst muß die Klärung des historischen Baugrundes erfolgen, dann die Neubebauung. Was im Moment an krämerischer Eile von Bausenatoren und industriellem Fuß-in-die-Tür-Steller provoziert wird, ist nicht nur ein verantwortungsloser Umgang mit Stadtsubstanz, zu der auch ihre ideellen Teile gehören, sondern auch verantwortungslos bezüglich ihrer Zukunft. Sie verhindert, daß durch offene Arbeit mit der sehr schwierigen alten Berliner Hauptstadttradition Berlin glaubwürdig das Profil einer neuen europäischen Großstadt und möglicherweise Hauptstadt - der Zukunft gewinnen kann.