DIE HERTIE-SCHULTHEISS-LÖSUNG

■ Thomas Kuppingers Rede gegen Vergangenheitsmißbrauch

Allein die Vorstellung einer „Eröffnung“ - oder „Wiedereröffnung“, Ansprachen von Momper oder Weizsäcker, umrahmt von Mietbäumchen in würdigen Kübeln, dazu die obligatorischen Haydn-Quartette und ernste Gesichter im handverlesenen, tiefschwarz gewandeten Publikum. Und „nie wieder darf von diesem Orte...“, „uns Auftrag, Mahnung und Verpflichtung...“, „wir gedenken der Opfer.“ Jenningers GeBrahmse in Moll. Draußen vor dem Einstieg zwischen den Großbaustellen der Banken und Großkonzerne ein Heerlager von Ü-Wagen, Wannen, Walkie-Talkie-Männern, Einsatzanzügen und Staatslimousinen. Linke Gegendemonstranten in sicherem Abstand oder geknüppelt in Vorsorgegewahrsam, Rechte mit feuchtem Blick, Blümchen und Fackel. Ein bisserl Tränengas in der Luft. Und ABS-CBS-NBC-Starreporter im 90-Sekunden -Takt live for the eight o'clock news from the Fuuirer -Headquarter in Bärlinn.

Und dann?

Vision Nummer 1: Touristen-Muß, Eintritt 2 Mark, Kinder die Hälfte. Täglich 9 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20.30 Uhr. Vielleicht ergänzt durch einen Pavillon (internationaler Architektenwettbewerb!) mit Dauerausstellung und Ton-Bild -Schau aus Originalaufnahmen zur obligatorischen Berieselung von Schulkindern und als Antwort Berlins auf Madame Tussauds Gruselkabinett. Freuen könnte sich die Frau Schulsenatorin, denn es käme die Portion Antifaschismus pro pubertierender Staatsbürger im Tagessatz günstiger als das jetzige Dauerheilmittel: pro Kopf ein KZ-Gedenkstättenbesuch per Schulzeit.

Bereits an diesem Vergleich wird die Unmöglichkeit des Unterfangens deutlich. Schon die Fahrten nach Dachau und Auschwitz haben sich als intellektuell gutgemeinte, aber ungeeignete Immunisierungsversuche gegen den Faschismus erwiesen; nun im Gemäuer des vermeintlichen „Führerbunkers“ würde sich das Ganze ins Gegenteil kehren. Keine Frage, die Gedenkstätten für die Opfer hätten gegenüber dem Ort des Täters keine Chance. Auch nicht das ehemalige Gestapo -Gelände gleich nebenan, das seine heutige Gestaltung, die Topographie des Terrors, von den Leiden der Opfer herleitet. Es lebe vielmehr der Mythos vom großen einzelnen Bösen. Gruseln ist geiler als Trauern; und pathetisch wirkt zudem der große Ort, die steinerne Ewigkeit, die sich herübergerettet hat in die Zeit des Kohls, des Walkmans und der Wiedervereinigung: mitten im Herzen des Herzens des neuen großen Wieder-Deutschlands. Zu besichtigen für 2 Mark inklusive fühlbarer Nähe zu IHM, dem Namensgeber und letzten Bewohner. Kühl und düster unter der Erde wird er plötzlich götzenhaft spürbar; auf einem Trip, heraus aus der sonnig -langweiligen Welt da oben, wo die Reisebusse neben den Souvenirläden parken. Die eine Gefahr: die Impfung erzeugt eine leichte Infizierung. Die andere: Der große Friedrich vom Mittwoch in Sanssouci und der große Adolf vom Donnerstag am Leipziger Platz vermischen sich im Hirn und im nachträglichen Klassenfahrtschulaufsatz. Berlin tut gut.

Weniger unerträglich ist die Vorstellung, das über- und unterirdische Ensemble auf dem ehemaligen Todesstreifen verkäme zur Kultstätte und zum Wallfahrtsort der vielen neuen und wenigen alten Anhänger dieses Führers. Besäßen die Politiker also die Dummheit, die Stätte tatsächlich als perverses Mahnmal herzurichten, müßte man sich die Blumengrüße und Fackelzüge eigentlich geradezu herbeiwünschen. Damit eben jenes rituelle Belehren und Gedenken voll furchtbar-fruchtlosem Altruismus endlich erstickt wird - von einem wirklich greifbaren, aggressiven, lebendigen Gegner aus der Gegenwart.

Vision Nummer 2: (siehe auch AL und Intellektuelle): Der Bunker bleibt zu. Nur renommierte (?) Wissenschaftler und andere Fachleute erhalten nach Anmeldung und Überprüfung Zugang - wie im Document Center. Datenschutz für den Führer. Einig Volk bleibt draußen oder darf einmal im Jahr unter fachlicher Anleitung in die steinernen Hallen gucken kommen. Ansonsten vielleicht US-Bestsellerautoren, Hollywood -Megaproducer (Herr Eichinger, wie wär's?) und brabbelnde Professoren-Riegen, eventuell unter Anleitung einer angepaßt in schwarzes Satin gehüllten Frau Rosh. Und Wim Wenders filmt's vom Hubschrauber aus für seinen Streifen „Die Erde unter Berlin“, läßt dabei einen traurigen Clown mit Schnurrbärtchen (Minetti? Mickey Rourke...?) über den Hügel laufen und unterlegt's mit sphärischen Synthi-Klängen. Während Syberberg es zehnstündig mit Edith Clever und Wagner treibt. Und immer neue Enthüllungen, Reliquien und Hypothesen, herausgekratzt aus den blanken Steinen, erfreuen Buchmarkt, Illustrierte und Historikerzunft.

Vision Nummer 3: Die sozialdemokratische Volkshochschule. Eine internationale Begegnungsstätte für die „Jugend der Welt“, am besten von derselben in freiwilligen Arbeitseinsätzen hergerichtet, mit Zeltlager, Spaten und Klampfenmusik. Und dann ein Füllhorn voller Diskussionen, Autorenlesungen mit und ohne Versmaß, Liederabende, Brecht und Borchertabende, Erinnerungen alter Antifaschisten, Folkloretänze unterdrückter Völker und Lech Walesa als Hauptredner gleich hinter Momper. So richtig das Gute an sich, das hier wieder einmal auf ganzer Linie gesiegt hat. Und alle könnten dann guten Gewissens drüber hinwegkommen, daß man gerade nebenan den ehemaligen Polenmarkt hinweggesäubert hat. Denn, bezahlt von irgendeiner guten Ministerin, dürften natürlich auch viele liebe kleine Polenkinder mitsingen. Für das inzwischen nötige Einreisevisum für polnische Staatsbürger würden die vielen guten linken Erwachsenenbildner auf ABM-Stellen im Internationalen Bunkerzentrum dann schon sorgen.

Vision Nummer 4 ist die repräsentative Lösung internationaler Verantwortung, getragen von der großen Gemeinschaft der deutschen Demokraten. Das Deutsche Historische Museum wird drübergestülpt. Mit oder ohne Rossi. Bis auf ein paar Torbögen und freigelegte Mauerwerksbrocken, die man geschickt indirekt illuminiert und postmodern im Keller des Neubaus in die teuren weißen Wände integriert hat, bleibt der Bunker verborgen. Vielleicht läßt der Architekt symbolbewußt noch einen - verglasten - Durchguck in die Tiefe frei. Und die Museumsmacher garnieren das Ganze mit einem Hinweistäfelchen, dreisprachig eingelegt in fingerdickes spiegelfreies Vitrinenglas. Dann könnte den Herren und Damen Stölzl, Kohl und Martiny keiner mehr. Von wegen verdrängen, verharmlosen, verherrlichen. Mittendrauf ham‘ wer's gesetzt. Und drüber, als Grabschmuck dann, etwagenweise, Mediotheken, Erfrischungsräume, Dauer- und Wechselausstellungen von den Karolingern über Moltke bis zum Wirtschaftswunder und, ja doch, klar, Europa, Europa, Europa über alles ... (Beethoven zur Eröffnung).

Vision Nummer 5 und Vorschlag des Autors: Die Hertie -McDonald's-Schultheiss-Lösung. Wenn es sich schon nicht verhindern läßt, daß die ganze Gegend kommerziell zubetoniert wird, und das Ding sich nicht sprengen läßt wird's für immer begraben. Damit keiner dabei schönhuberisch von „Einmal muß Schluß sein“ faselt und andererseits niemand tränenden Auges barbarische Geschichtsverdrängung im Sinne des unter den Tischkehrens beklagen kann, geht es natürlich nicht ohne Symbolik. Zunächst aber wird das Bauwerk akribisch millimeterweise abfotografiert, von Wissenschaftlern aus aller Welt besichtigt, archiviert, vermessen, dokumentiert und seine gesamte Umgebung wegen weiterer Spuren und Reste freigelegt. Bis es wirklich nichts mehr zu erforschen gibt. Und dann ein Fest. Die Planierraupen kommen, die Betonmischer, meinetwegen die Philharmoniker und die Kamerateams. Ein für allemal. Und dann entstehen ganz normale Häuser darüber. In Anbetracht der Lage und der wieder einmal unvermeidlichen „Entwicklung“ wohl irgendein (begrüntes) Center mit Passagen, Kaufhaus, Gastronomie, braver teuer-tiefsinniger Kunst am Bau (Internationale Ausschreibung!) und schicken Läden mit Erlebniseinkauf - alles generalübernommen von Klingbeil und Konsorten. Und selbstverständlich eröffnet nach mittlerem Bauskandal von Momper mit Freibier und Blasmusik (Sportpalastwalzer, Berliner Luft).

Völlig absurde Vision Nummer 6: Mit dem auf diese Weise gesparten Geld und der brachliegenden Kreativität denken wir endlich über den heutigen abgrundtiefen Haß auf Türken, Polen, Asylbewerber nach, werfen Schuldfragen der allerjüngsten Jahrzehnte auf, gestalten endlich Schulen, die keine kleinen Monster mehr züchten, machen Kultur, die alle verstehen, definieren Faschismus und seine Folgen neu. Logisch, unpathetisch und brutal ehrlich, ohne den für Intellektuelle und Außenpolitiker so bequemen Umweg über die Vergangenheit.

Am geilsten wäre deshalb: Wenn schon Symbolik und akademische Vergangenheitsbearbeitung angesagt sind - dann aber richtig. Dann sollte man dieses eine Mal ganz fundamentalistisch, antifaschistisch, schön öffentlich zu einer Riesenkiste Dynamit greifen.