Eine Zeitbombe tickt bei den Sozialmieten

■ Die Rache der Zinssätze: Sozialmieter sehen sich mit drastischen Mieterhöhungen konfrontiert, weil die Zinsen rapide steigen

Die Mieter dreier Steglitzer Wohnhäuser staunten letzten Monat nicht schlecht: 398 Mark mehr Miete sollten sie jeweils für ihre Drei-Zimmer-Wohnung zahlen statt, wie vorher, knapp 800 Mark, und dies im Sozialen Wohnungsbau. Sozialmietern in der Ansbacher Straße in Schöneberg wurde die Miete von 535 Mark auf 744 Mark erhöht. Bei einem weiteren Haus in Charlottenburg stieg die Miete gar um das Doppelte.

Das sind keine Einzelfälle, sondern die Vorboten einer Mietsteigerungswelle, gegen die die Aufhebung der Mietpreisbindung nur ein sanftes Plätschern war. So wie ihnen wird es in den nächsten Monaten Tausenden von Sozialmietern gehen: Kräftige Mieterhöhungen von teilweise mehr als 50 Prozent für etwa 15.000 Sozialwohnungen wurden in den letzten Monaten verschickt, oder sie sind demnächst fällig, wie der Berliner Mieterverein gestern vor der Presse berichtete.

Der Grund dafür: Die Zinsen sind gestiegen. Und die dürfen auf die Miete umgelegt werden. Der Soziale Wohnungsbau wird seit 1969 über private Hypotheken finanziert, und der Zinssatz dafür ist nur für die ersten zehn Jahre nach dem Bau festgelegt. Das heißt, für die Sozialwohnungen, die um 1980 herum gebaut wurden, gehen jetzt die Zinsen nach oben.

Damals betrug der Zinssatz niedrige 6,5 Prozent - heute sind es um die 9 Prozent. Und die Tendenz ist weiter steigend. Ein Prozent mehr Zinsen bedeutet zwei Mark mehr Miete pro Monat und Quadratmeter. „Daran sieht man, daß das gesamte Förderungssystem des Sozialen Wohnungsbaus unsolide ist“, meinte der Geschäftsführer des Mietervereins, Vetter. Als Soforthilfe für die betroffenen Mieter forderte der Mieterverein, die vom Senat kontrollierte Wohnungsbaukreditanstalt (WBK) solle die Privathypotheken ablösen und durch öffentliche Baudarlehen ersetzen. „Die jetzt betroffenen Mieter können zwar eventuell Wohngeld oder Mietausgleich beantragen, oder sie werden von der Fehlbelegungsabgabe freigestellt, aber das reicht bei weitem nicht aus“, meinte Vetter. Die Ablösung der Hypotheken würde das Land Berlin nichts kosten, denn sie könne über steuerbegünstigte Berlin-Darlehen finanziert werden. Künftig solle, so Vetter weiter, der gesamte Sozialwohnungsbau über Baudarlehen finanziert werden, so wie es vor 1969 der Fall war. Da seien die Belastungen berechenbarer als bei einer Finanzierung über Hypotheken. Bereits jetzt betragen die Hypothekenbelastungen für das Land Berlin insgesamt 15 Milliarden Mark, das sei eine „finanzielle Zeitbombe“. Es gibt derzeit einen Modellversuch der WBK, 750 Wohnungen pro Jahr über Baudarlehen zu fördern.

Auch die städtischen Wohnungsunternehmen, denen etwa zwei Drittel der betroffenen Wohnungen gehören, sehen den Handlungsbedarf. „Da muß schnell irgend etwas geschehen, über die Details kann man sich noch unterhalten“, meinte der Verbandsvorstand Ludwig Burkard. Was bis jetzt an Mieterhöhungen bekanntgeworden sei, sei nicht so viel, aber in den nächsten Wochen werde noch einiges passieren. Und außerdem handele es sich um Sozialwohnungen mit entsprechend sozial schwachen Mietern. Trotzdem seien diese Mieterhöhungen weit schlimmer als im Altbau. Man diskutiere schon seit Monaten mit dem Senat und der Wohungsbaukreditanstalt, man sei aber auf wenig Interesse gestoßen. „Wenn der Senat anfängt, darüber nachzudenken, das wäre schon ein erster Schritt“, sagte Burkart.

Bausenator Nagel (SPD) erklärte dazu in der gestrigen Abgeordnetenhaussitzung, die WBK bemühe sich, in Verhandlungen diese Mietpreissteigerungen zu verringern. Eine Möglichkeit sei die vom Mieterverein geforderte Umfinanzierung. Im ersten Quartal dieses Jahres seien aber nur 47 Häuser bekanntgeworden, deren Mieten um maximal 4,65 Mark, durchschnittlich um 1,50 Mark pro Quadratmeter und Monat gestiegen seien. Letzteres sind immer noch gut 100 Mark im Monat. Genaue Daten, bei wieviel Wohnungen dieses Jahr die Zinsbindung ausläuft, habe man nicht.

esch