Drei Leben

■ Zum Tode von Lola Landau

Am 2.Februar starb siebenundneunzigjährig in Jerusalem Lola Landau. Bis zum Schluß nahm die Verstorbene aktiv am Leben ihrer Umgebung teil, setzte sich mit ihren Erfahrungen auseinander und schuf ein großartiges Alterswerk. Zehn Tage vor ihrem Tod schloß sie die Arbeit an ihrer letzten Novelle ab.

In der Erinnerung wird ihre Autobiographie Vor dem Vergessen - meine drei Leben bleiben. Herausgefordert durch eine Einladung in ihre Heimatstadt Berlin, die sie 1977 dann wegen eines Unfalls doch nicht annehmen konnte, wandte sich Lola Landau von Israel aus ihrer deutschen Vorgeschichte zu und legte die Autobiographie 1987 vor.

In postfaschistischer Zeit, ihrer ursprünglichen Heimat beraubt, im neuen Land, an dessen Aufbau sie und ihr Sohn Andreas Marck beteiligt waren, blickt sie zurück auf ihre Anfänge als Autorin und gesellschaftlich bewußt agierende Frau.

Lola Landau griff in ihrer kleinen Jerusalemer Wohnung nicht auf Akten und Dokumente zurück, sie stützte sich allein auf ihr Gedächtnis, das aber von erstaunlicher Klarheit und Detailtreue war. Hochinteressante Kindheitserinnerungen, Schilderungen bekannter Literaten der Weimarer Republik - alles strich sie aus der endgültigen Fassung ihrer Autobiographie, alles, was nicht direkt zum Thema der „drei Leben“ beitrug.

Lola Landau schildert das wilhelminische Deutschland, wo sie zur Englischlehrerin ausgebildet wurde und wo sie 1912 den Breslauer Philosophiedozenten Siegfried Marck heiratete, mit dem sie zwei Söhne hatte. Lola Landau stammte aus dem liberalen großbürgerlichen jüdischen Milieu des alten und neuen Westens in Berlin, war dann aber auch früh mit dem konservativen Berlin und Preußen konfrontiert.

Im 1.Weltkrieg schloß sich Lola Landau der unabhängigen Frauenfriedensbewegung um Rahel Strauß an und legte 1916 und 1919 ihre ersten Gedichtbände vor. Ihr Mann, Siegfried Marck, wandte sich unter dem Eindruck der Materialschlachten an der Westfront, in denen er eingesetzt war, den Sozialisten zu und war 1918 der gewählte Vertreter des Soldatenrats in Breslau. Später unabhängiger Sozialist im Kreis um Eckstein - auch er aus Deutschland vertrieben -, ist er 1957 als Professor in Chicago verstorben.

Lola Landau war am 9.November 1918 beim Sturz des Kaisers am Berliner Schloß dabei und schildert in ihrer Autobiographie die Aufbruchstimmung im bürgerlichen Berlin, den Elan der Arbeiterschaft und die Schreckensstarre der konservativen, militärisch-adligen Kreise. Am 9.11.1918 kannte Lola Landau schon den pazifistisch-anarchistischen Schriftsteller Armin T. Wegner, mit dem sie 1922 eine zweite Ehe einging und mit dem sie eine gemeinsame Tochter hatte. In Berlin und Neuglobsow führten die Wegner-Landaus eine Künstlerehe und waren gemeinsam produktiv. Zu erinnern wäre an das Theaterstück Wasif und Akif oder die Frau mit den zwei Ehemännern, ein Emanzipationsstück nach türkischen Motiven, das Wegner/Landau zusammen verfaßten und das am Deutschen Theater aufgeführt wurde. Das Stück Die Bollejungen, Berliner Straßenszenen mit schmissigen Liedern, modernes Kindertheater, an der Volksbühne aufgeführt, war allein von Lola Landau verfaßt.

Armin T.Wegner hatte im 1.Weltkrieg unter Lebensgefahr Dokumente zum befohlenen Mord am armenischen Volk aus der Türkei geschmuggelt und 1919 einen offenen Brief an den US -Präsidenten Wilson geschrieben, der an die Armenier erinnert und bis heute an das Gewissen der Völker rühren sollte. Im April 1933 schrieb Armin T. Wegner einen ähnlichen Brief an den deutschen Kanzler Hitler, nun die organisierte Judenverfolgung anprangernd; dieser Brief ist ein wesentliches Dokument unseres Jahrhunderts.

Bei Lola Landau lesen wir, wie die Briefe zustande kamen, wie Wegner durch das angedrohte Schicksal von Frau und Kindern beeinflußt war - aber auch, wie Wegner ins KZ geholt wurde, wie seine Frau ihn wieder freikämpfte.

Lola Landau, von der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt, wandte sich der zionistischen Bewegung zu. Wegner zog nicht mit, ging in die Isolation einer süditalienischen Kleinstadt. Lola Landau fuhr nach Palästina/Israel, wo sie noch 53 Jahre lebte, ein drittes Leben, von wo aus, mit Abstand, sie dann auch wieder auf Deutschland, das Kaiserreich, die Revolution, die Republik zurückblicken konnte.

Lola Landau war in Deutschland vergessen. Armin T.Wegner war zwar nicht vergessen, wurde aber auch nicht wirklich wahrgenommen. Auf dem Berliner Schriftstellerkongreß 1947 ist er als „einer unserer Toten“ geehrt worden, gelebt hat er aber bis 1978. Geehrt wurde er dann in Yad Vashem, Jerusalem, als „Gerechter der Völker“, was auch für Lola Landau eine große Genugtuung war.

Durch Lola Landaus Alterswerk haben wir die unverhoffte und unverdiente Chance, uns noch einmal unserer Geschichte, wie um Demokratie, Emanzipation und Völkerversöhnung gekämpft worden ist, zu versichern. Schon zwischen 1958 und 1980 hatte sie wieder sechs Bände mit Erzählungen und Gedichten in deutscher Sprache vorgelegt, 1972 auch einen Roman in Hebräisch. Aber erst die Autobiographie 1987 fand wirkliche Beachtung; es folgte ein Band Leben in Israel, und es liegen weitere Manuskripte vor, jetzt betreut vom Schiller -Literaturarchiv in Marbach.

Lola Landau hat mit seltener Klarheit den Zusammenbruch der Republik 1933 geschildert, das Aufkommen der Nazis. Sie schilderte aber auch, was gegen die Zerstörung stand und hat uns zum Schluß Mut gemacht, aus der Geschichte belehrt Vertrauen in die Zukunft zu fassen.

Thomas Flügge