Franzosen an die Oder!

Plädoyer für deutsch-französische Brigaden auf dem DDR-Gebiet  ■ D O K U M E N T A T I O N

Die Konsequenzen des Übergangs zur deutschen Einheit stehen im Zentrum der „2 plus 4„-Verhandlungen. Die Zukunft der deutschen Streitkräfte und der Status des ostdeutschen Territoriums sind davon direkt berührt. In allen betroffenen Ländern müssen die Strategen praktikable Lösungen finden. Die alten Einheitsprojekte der fünfziger Jahre können nicht mehr als Modell dienen.

Die sowjetischen Führer glauben nicht mehr, daß ein neutrales Deutschland im Herzen Europas eine geringere Bedrohung darstellen würde, als ein pluralistisches und transnational ausgerichtetes Deutschland. Nach vierzig Jahren in der westlichen Allianz ist die Bundesrepublik ein verantwortlicher Partner in der europäischen und internationalen Politik geworden. Die Ostdeutschen ihrerseits haben das Verdienst, eine friedliche Revolution vollzogen zu haben.

Der Rückzug der sowjetischen Macht und der politische Einfluß der BRD erlaubt es heute den Deutschen, weniger Angst vor Versuchen zu haben, die ihr einen Sonderstatus auferlegen wollen. Und hat sich die französische Sicherheitspolitik nicht von ihrer Obsession befreit, Deutschland unter Kontrolle zu halten? Die Bundesrepublik und Frankreich bilden heute eine Allianz, die sehr viele Gebieten in beiden Gesellschaften berührt.

Berlin den Schutz zu versagen wäre absurd

Solange die angestrebte europäische Friedensordnung nur als Absichtserklärung besteht, wird die Entmilitarisierung eines Teils von Deutschland die europäische Sicherheit kaum stabilisieren können. Außerdem: Wäre es nicht absurd, Berlin, der künftigen Hauptstadt oder zumindest wichtiges politisches Zentrum des Landes, (militärischen) Schutz zu versagen?

Eine Sicherheitsgarantie durch nicht-deutsche alliierte Truppen in der DDR würde die Deutschen zwingen, während einer nicht-begrenzten Zeitdauer sowjetische Truppen zu tolerieren und zu finanzieren, ohne daß es eine gemeinsame Philosophie und institutionelle Bedingungen dafür gäbe. Für die öffentliche Meinung würden solche Garnisonen - auch wenn sie nur symbolischen Charakter hätte - die Wiederherstellung oder die Erneuerung der Viermächte-Kontrolle bedeuten.

Im Interesse einer dauerhaften Stabilität in Europa wäre es sinnvoller, sich über weniger statische Lösungen zu verständigen, die dem Aufbau Europas eine Chance lassen. Ein Vorschlag, der im Zentrum der Diskussion steht, ist die Stationierung auf dem Gebiet der heutigen DDR von territorialen Verteidigungseinheiten, die aus Kadern der NVA und örtlichen Rekruten gebildet würden. Aber eine solche Lösung würde die Einrichtung von deutschen Streitkräften bedeuten, die keine Bindung an die Nato mehr hätten. Und dies - gemeinsam mit einer Verringerung der amerikanischen Präsenz - könnte eine Renationalisierung der deutschen Verteidigung mit sich bringen, wodurch die Kontinuität der Sicherheitspolitik gefährdet würde. Man würde ein isolationistisches Deutschland riskieren, daß seinen globalen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte.

Die Praxis der integrierten westeuropäischen Veteidigung ist stets ein wesentlicher Beitrag zum gegenseitigen Vertrauen in Europa. Die Tendenz zu nationalen Strukturen in Osteuropa muß also ausgeglichen werden durch die Aufrechterhaltung von integrierten Strukturen, wo immer es möglich ist. Die deutsche Verankerung im atlantischen Bündnis, dem wichtigsten Bindeglied zwischen den westlichen Demokratien, muß erhalten bleiben, um die politischen Herausforderungen jenseits der europäischen Verteidigung zu meistern. Ganz gewiß kann die Nato-Integration nicht auf die DDR ausgeweitet werden.

Das Dilemma ostdeutscher Sicherheit lösen

Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Integration auch außerhalb der Nato-Militärstruktur existiert: in ihrer deutsch-französischen Version. Wir schlagen also eine deutsch-französische Initiative vor, um das Dilemma der ostdeutschen Sicherheit durch Anbindung der deutschen Einheit an die europäischen Sicherheitsinstitutionen zu lösen. Unser Vorschlag: die Neuorganisation der ostdeutschen Territorialverteidigung sollte durch die Stationierung deutsch-französischer Brigaden nach dem Modell der Versuchsbrigade in Böblingen erfolgen. Man könnte sich insgesamt zehn Brigaden vorstellen, mit maximal 50.000 Mann, zusammengestellt aus französischen und deutschen Einheiten, außerdem ein binationales Oberkommando in einem einheitlichen juristischen Rahmen.

Eine derartige Truppe könnte einen nützlichen Verteidigungsauftrag erfüllen in dem sie ihren Schwerpunkt auf Flexibilität, Beweglichkeit in der Luft, Boden-Luft -Verteidigung und Logistik und Beobachtung legt. Um einen politischen Rahmen dafür zu schaffen, müßten der deutsch -französische Sicherheits- und Verteidigungsrat in seinen Kompetenzen wesentlich ausgeweitet werden.

Eine solche deutsch-französische Kooperation wäre weniger künstlich als ein Garantiesystem der Supermächte und wäre zudem im Sinne der KSZE-Prinzipien, dessen erstes die Souveränität der Staaten und die freie Wahl der Bündnisse garantiert. Die französische Kombination von aktiver Verantwortlichkeit im atlantischen Bündnis und gleichzeitiger Unabhängigkeit gegenüber dem Nato -Oberkommando wird im Osten durchaus respektiert und würde es dem östlichen Teil Deutschlands erlauben, eine glaubwürdige und nichtbedrohliche Verteidigungsstruktur zu erhalten. Sie würde den Kern für ein künftiges gemeinsames Sicherheitssystem für ganz Europa darstellen. Diese deutsch -französische Lösung, auf der Basis bereits existierender Institutionen und Einheiten, könnte auf französische Truppen zurückgreifen, die in Südwestdeutschland stationiert sind.

Die internationalen und wechselseitigen Abhängigkeiten der deutschen Sicherheit würden durch das Prinzip eines integrierten Kommandos bestätigt. Die Erfolge der westeuropäischen Kooperation würden ausgeweitet und klare Perspektiven für eine stabile Friedensordnung in Europa schaffen.

Selbst nach einem Rückzug der Sowjetunion von deutschem Territorium würde die Sicherheit der UdSSR wirksam garantiert durch eine europäische Sicherheitsstruktur, die auf der freien Entscheidung demokratischer Staaten errichtet ist. In den Augen der Polen und Sowjets ist Frankreich glaubwürdiger Garant des europäischen Gleichgewichts. Wir erinnern an die verständnisvolle Reaktion Moskaus auf die Einrichtung der deutsch-französischen Brigade 1987/88.

In der westdeutschen öffentlichen Meinung gibt es eine klare Neigung für eine integrierte Sicherheitsstruktur, und Frankreich wird als besonderer Partner angesehen. In der DDR wird es zu ähnlichen Einschätzungen kommen. Was Frankreich betrifft, so würde die Beibehaltung der „Hades„ -Kurzstreckenraketen von den Deutschen sehr schlecht aufgenommen werden. Außerdem müßte Frankreich, im Interesse sinnvoller Kooperation, deutsche logistische und Ausbildungseinrichtungen auf seinem Boden ins Auge fassen.

Dank der abschreckenden Präsenz der Nato in der BRD konnte Frankreich die Frage seines militärischen Schutzes für Deutschland als rein theoretisch behandeln. Aber weil die deutsche Einheit und die neuen Sicherheitsstrukturen in Europa die sensiblen Punkte seiner konventionellen und nuklearen Strategie berühren, muß Frankreich seine verteidigungspolitischen Dogmen überdenken. Wenn sich Frankreich auf sein rein nationales Verteidigungskonzept versteift, könnte es die Chance versäumen, einen konstruktiven Einfluß auf die neue europäische Ordnung auszuüben. (...)

Ingo Kolboom, Klaus Becher (Übersetzung: smo)

Ingo Kolboom ist Direktor der Arbeitsstelle Frankreich der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politk in Bonn, wo Klaus Becher als wissenschaftlicher Referent tätig ist. Der hier leicht gekürzte Beitrag wird in Frankreich demnächst auch von 'Le Monde‘ veröffentlicht werden.