Parlament der DDR tagt auf Bonner Abruf

■ Volkskammer konstituiert / Beitritt über Artikel 23 beschlossene Sache / De Maiziere soll Regierung bilden / Demo gegen „Arroganz für Deutschland“

Berlin (taz) - Auf der konstituierenden Sitzung der DDR -Volkskammer hat deren Mehrheit Sabine Bergmann-Pohl (43) von der CDU zu ihrer Präsidentin gewählt. In ihrer Eröffnungsansprache gedachte Frau Bergmann-Pohl der Opfer des Stalinismus und sprach dem Runden Tisch ihren Dank aus. Grüße richtete sie an den Bonner Bundestag und ihre dortige Kollegin Rita Süssmuth. Zur selben Zeit demonstrierten Zehntausende auf dem Ostberliner Alexanderplatz gegen den von der BRD anvisierten Umtauschkurs von 2:1. Auf dem Schweigemarsch wurden Transparente wie „Wer uns verkohlt, wird versohlt“ - „Arroganz für Deutschland - 2:1“ und „Wir sind ein Volk - 1:1“ getragen.

Die Volkskammer hob die Präambel der DDR-Verfassung auf, in der die Regierung bisher darauf verpflichtet wurde, „unbeirrt auch weiter den Weg des Sozialismus und Kommunismus ... zu gehen“. Der CDU-Chef de Maiziere wurde mit 297 zu 62 Stimmen bei 31 Enthaltungen erwartungsgemäß mit der Regierungsbildung beauftragt.

Währenddessen gehen die Bemühungen um die Bildung einer großen Koalition weiter. Am Mittwoch abend hatte eine zweite Koalitionsrunde bis spät in die Nacht über den Weg zur deutschen Einheit diskutiert. In einer gemeinsamen Erklärung der künftigen Koalitionspartner einigten diese sich darauf, daß der Artikel 23 des bundesdeutschen Grundgesetzes (Beitritt zur BRD) eine „wichtige Rolle“ spielen soll, daß aber auch Artikel 146 (deutsch-deutsche Vereinigung mit neuer Verfassung) „berücksichtigt werden sollte“. „Wir freuen uns“, kommentierte DSU-Chef Ebeling das Ergebnis. CDU -Generalsekretär Kirchner meinte, der Weg für Artikel 23 sei nun wohl frei, doch müsse das Grundgesetz an einzelnen Punkten „ergänzt“ werden.

Zurückhaltender äußerte sich zu diesem Punkt der amtierende SPD-Vorsitzende Markus Meckel. Er betonte zugleich, eine Einbeziehung des Gebietes der heutigen DDR in die „militärische Organisation der Nato“ komme nicht in Frage. Als Eintrittsbedingungen in die große Koalition forderte Meckel mindestens sieben Ministerposten für seine Partei, darunter das Arbeits- und Sozialministerium, das Fortsetzung auf Seite 4

Innen- und das Außenministerium.

Ob er selbst ein Ministerium anstrebt, hielt er offen. Keinen Zweifel ließ Meckel daran'daß er das Amt des SPD -Vorsitzenden anstrebt. Um ihre Differenzen beizulegen, vereinbarten SPD und DSU für den gestrigen Abend ein Gespräch.

Ein erstes Opfer der Postenverteilung könnte der Westberliner CDU-Politiker Elmar Pieroth werden. Er war von Lothar de Maiziere in den letzten Wochen als künftiger Wirtschaftsminister genannt worden. Jetzt erklärte CDU -Generalsekretär Kirchner, man könnte sich überlegen, dieses Amt der SPD zu überlassen.

Wenn der bisherige Fahrplan eingehalten wird, so soll am heutigen Freitag in fünf Arbeitsgruppen und am Samstag wieder im größeren Kreis weiterverhandelt werden. Weiterhin ist beabsichtigt, daß die Volkskammer bereits auf ihrer nächsten Sitzung am 11. April Lothar de Maiziere zum Ministerpräsidenten wählt und die Regierungsmannschaft vorgestellt wird. Die Regierungserklärung wäre dann in der Woche nach Ostern zu erwarten.

Walter Süß