Von der DDR bleibt nur das Kleingeld

■ Bonner Kabinettsrunde einigt sich auf Vertragsentwurf zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion / Staatsbank und DDR-Regierung dürfen in der Wirtschaftspolitik nur noch Ja sagen / Verfügungsfreiheit über Boden nur für Bauern / Keine Beschlüsse für Umstellungskurse

Berlin (taz) - Nur die Alu-Chips dürfen im Verkehr bleiben. Ansonsten soll die DDR auf praktisch alle Souveränitätsrechte in der Wirtschaftspolitik verzichten. Darauf läuft der Vertragsentwurf zur Währungs-, Wirtschafts und Sozialunion zwischen der BRD und der DDR hinaus, auf den sich am Donnerstag eine kleine Minister- und Expertenrunde unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Kohl verständigt hat. Vor der Presse sagte Bundesfinanzminister Waigel, unklar sei nur noch, welche Passagen in die Präambel und welche in den Haupttext aufgenommen werden sollen. Die 'Süddeutsche Zeitung‘ (SZ) hatte gestern Einzelheiten aus dem 50seitigen Entwurf veröffentlicht. Aus Regierungskreisen war zu erfahren, daß die Details nicht aus einem Vorentwurf, sondern aus der Tischvorlage für das gestrige Treffen stammten; der Wortlaut wurde aber nicht bekannt.

Die Präambel bezeichnet - Informationen der 'SZ‘ zufolge den Vertrag als ersten bedeutenden Schritt zur Herstellung der staatlichen Einheit nach dem Anschluß-Artikel 23 des Grundgesetzes. Die soziale Marktwirtschaft werde die Grundlage für die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands darstellen. Außerdem wird auf die Zwei-plus-vier-Verhandlungen hingewiesen.

Die Passage über die Währungsunion weist der Bundesrepublik die Hoheit über das Währungs-, Kredit-, Geld- und Münzwesen zu; alle wesentlichen Bundesgesetze in diesen Bereichen sollen übernommen werden. Bundesbank und andere Bundesbehörden sollen ihre Rechte auch auf dem Gebiet der DDR ausüben können. Die DDR setzt alle Bestimmungen ihrer Verfassung über die Planwirtschaft, eine sozialistische Währungs- und Finanzpolitik, die sozialistische Eigentumsordnung, sozialistische Betriebe und das staatliche Außenhandelsmonopol außer Kraft.

Ohne Umstellungskurse zu nennen - die gestern auch in Bonn nicht beschlossen wurden -, zeichnet sich eine Aufteilung der Sparguthaben in drei Gruppen ab. Kleinsparguthaben werden bis zu einer noch nicht festgelegten Grenze im Verhältnis 1:1 getauscht, jenseits dieses Limits werden sie ebenso wie die Guthaben juristischer Personen (vor allem Firmen) oder staatlicher Institutionen zu einem ungünstigeren Kurs umgestellt. Gegen die Spekulation richtet sich die Bestimmung, auch kleinere Guthaben von Nicht-DDR -Bürgern in Ostmark sollen schlechter als 1:1 umgetauscht werden; Stichtag ist dafür der 31.12.89. Guthaben von Nicht -DDR-Bürgern, die erst in diesem Jahr angelegt wurden, sollen einen noch schlechteren Kurs erhalten.

Übergangsweise bleiben die kleinen DDR-Münzen zu ihrem Nennwert, aber als D-Pfennig, gültig. Obergrenze ist wahrscheinlich das Fortsetzung auf Seite 4

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Ein-Mark-Stück. Drei Monate nach Inkrafttreten der Währungsunion legt die DDR eine ausgeglichene DM -Eröffnungsbilanz vor. Mitglieder der DDR-Regierung dürfen zwar an den Sitzungen des Zentralbankrates teilnehmen, aber ohne Stimmrecht. Umgekehrt soll die Staatsbank den Bundesbankchef zu ihren Beratungen einladen.

Der DDR-Staatshaushalt wird dem Bundeshaushalt angeglichen. Ausgegliedert werden sollen der beitragsfinanzierte Sozialbereich, der auch nicht mehr vom FDGB mitverwaltet werden darf, außerdem die großen Industriekombinate und das Verkehrs- und Wohnungswesen. Der Entwurf sieht den Abbau aller wesentlichen Subventionen vor. Die Kreditaufnahme der Regierung wird begrenzt; weitergehende Kredite bedürfen der Zustimmung des Bundesfinanzministers. Um den Haushalt auszugleichen, werden Mittel aus dem Bundeshaushalt zugewiesen.

Spätestens zum 1.1.91 wird das gesamte bundesdeutsche Steuersystem eingeführt, sofort aber Verbrauchssteuern wie die Kaffee-, Tabak-, Bier- und Branntweinsteuer. Das bundesdeutsche Lohn- und Einkommensteuerrecht soll am nächsten Neujahrstag in Kraft treten.

Bei den Renten sollen die Grundzüge des Alterssicherungssystems der Bundesrepublik übernommen werden; „Diskussionsgröße“, so die 'SZ‘, sind 70 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmer-Nettolohns; Fristen nennt das Blatt keine.

Alle finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der neuen DDR-Regierung sollen im Einklang mit der sozialen Marktwirtschaft stehen und auch das EG-Recht berücksichtigen. Bei Geldwertstabilität, Wettbewerbs-, Struktur-, Mittelstands-, Außenwirtschafts-, Agrar-, Umwelt und Infrastrukturpolitik soll der gemeinsame Regierungsausschuß für eine möglichst enge Abstimmung sorgen.

Bonn erwarte eine Agrarverfassung, in der die unternehmerische Landwirtschaft mit Anteilseigentum und selbständige Haupt- und

Nebenerwerbsbetriebe die gleichen Chancen haben. Das Nutzungsrecht von Grund und Boden soll frei sein - für LandwirtInnen jedenfalls; an anderer Stelle wird das Verfügungsrecht über Grundstücke nicht genannt. Beim Umweltschutz sollen für neue Anlagen BRD-vergleichbare Bestimmungen in Kraft treten; die Vorschriften des bundesdeutschen Atomrechts sollen auch für die laufenden Anlagen gelten.

Zum Fahrplan für das Vertragswerk sagte Bundesfinanzminister Waigel gestern vor der Presse, sofort mit der Regierungsbildung in der DDR, spätestens aber am 17. April, sollten die Verhandlungen aufgenommen werden. An der Ministerrunde waren außer Waigel und dem Kanzler auch die Ressortchefs Haussmann (Wirtschaft), Blüm (Arbeit), der Kanzleramtsminister Seiters, Bundesbank-Vize Schlesinger und der neue Kanzlerberater für die Währungsunion, Tietmeyer, beteiligt. Nach der Beratung über den Vertragsentwurf fand gestern eine Koalitionsrunde mit FDP-Chef Graf Lambsdorff, CDU/CSU-Fraktionsschef Bohl und CSU-Generalse

kretär Bohl statt. Waigel, Haussmann und Blüm wollen die EG unterrichten, der Kanzler den SPD-Chef Vogel - allerdings erst nach Ostern.

Derweil haben sich mehrere UnionspolitikerInnen für die Umstellung der Renten zum Kurs von 1:1 ausgesprochen. Der hessische Ministerpräsident Wallmann forderte, darüber hinaus die Renten weiter zu erhöhen. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth will auch die Lohnumstellung zum Kurs 1:1. Für den Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Geiger, ist die 2:1-Umstellung „schon aus politischen Gründen“ nicht durchsetzbar. Bundesbank-Vize Schlesinger warnte noch einmal vor dem Inflationspotential bei der 1:1 -Umstellung; um die Geldwertstabiltät nicht zu gefährden, könne die Bundesbank gezwungen werden, auf die Geldbremse zu treten, was auch die Konjunktur beeinflussen könne.

diba