: Die Verhüllung d des Gemächtes
■ Gibt es eine Alternative zur Hose für den Mann? Tatsächlich, Giorgio Armani kreierte für die Saison 1990 den Herrnrock. Ein Aufschrei ging durch die (italienische) Männerwelt. Vom modischen Symbol ihrer Männlichkeit werden sie sich nie und nimmer trennen.
In zweigeteilten Beinkleidern berichtet
ELMAR KRAUSHAAR.
änner in Strampelanzügen, Strumpfhosen oder Bermudas, Männer mit Tüchern um die Hüften oder einem wadenlangen Sarong, ein Jackett obenauf, dazu die Farben Rosa, Aprikose oder Violett - so will Italiens Einkleider-Star Giorgio Armani die Männer im Sommer 1990 sehen. Baß erstaunt reagierte die italienische Presse, als Armani seine 380 Models eine Stunde lang solcherart gewandet im Juli letzten Jahres über den Mailänder Laufsteg schickte.
Wohin hat der Meister, berühmt und beliebt fürs klassisch Legere im unscheinbaren Grau, sich verirrt? Ist das der „neue Mann“, fragte sich verstört der Corriere della sera? Sind dies die Zeichen für den „triumphalen Vormarsch der Feminisierung der Welt“, spekulierte das Nachrichtenmagazin „Panorama“. Soll jetzt die letzte Bastion des Mannes, die Hose, fallen, und wird er nun enden im Rock?
Nur mäßig konnte Armani seine Anhänger beruhigen: „Nein, ich bleibe der klassischen Linie treu“, versichert er. Nur ein bißchen phantasievoller und farbenfroher sollte es schon sein. Schließlich sei er kein Schneider, sondern wolle Kleidung immer wieder neu erfinden. Mit seiner neuen Kollektion variiere er lediglich die klassischen Themen der Schnitte und Farben, „man muß sie nur lesen können“.
Den Rummel um die Präsentation der 90er-Kollektion, vor allem um das Schlußbild „Nackter Männerpo unter zarter Seide“, will Armani nicht verstehen: „Diese Momente von Ironie dürfen auf einer Modenschau nicht fehlen, um die Atmosphäre zu entdramatisieren.“ Selbst die Aufregung der Italiener, daß die kaufkräftigen Ausländer der Laufsteg -Revolution des begehrten Exportlers nicht folgen, erfüllte sich nicht: Der Herald Tribune ist begeistert von den effeminierten Aussichten, und potente Einkäufer wie Linda Hopler von „Saks“ aus der New Yorker Fifth Avenue greifen auch bei dieser Kollektion wieder in die vollen.
ei aller öffentlichen Verunsicherung über Armanis Bemühen, den Männern mit wallenden Tüchern untenrum eine neue Freiheit zu bescheren, bleibt eines gewiß: Die Hose wird nicht fallen. Ein Blick in die Kulturgeschichte des so oft variierten und doch beständigen Beinkleides bezeugt, daß der Mann nie und nimmer davon gelassen hat. Schließlich sind die „Hosen als modische Inszenierungen Spiegel des männlichen Selbstverständnisses und der Beziehung der Geschlechter zueinander“, so jedenfalls resümiert die Fachfrau für Die Verpackung des männlichen Geschlechts, Gundula Wolter, in ihrem Standardwerk mit gleichem Titel.
Daß es dem Mann mit der Hose vor allem ums eigene Geschlecht geht, hat Wolter bei ihrem Ritt durch die jahrtausendealte Geschichte der zweiten Männerhaut immer wieder bestätigt gefunden: „In fast allen Kulturkreisen sind die Männer bestrebt, ihre Fortpflanzungsorgane zu schützen, sei es durch einen Lendenschurz, eine Schambinde oder -tasche, ein Penisfutteral oder eine Hose.“
Zwar waren die freien Männer des römischen Kaiserreichs kurzzeitig - epochal gesehen - in Tunika und Toga, in wallende Über- und Unterkleider gehüllt (wie es darunter aussah, weiß man nicht). Dagegen trugen die „barbarischen“ Gallier und Germanen zur gleichen Zeit bereits lange Hosen. Schließlich mußten die Herren reiten, und da erwies sich die geteilte Beinkleidung als durchaus praktischer.
Die Ritter des 14. Jahrhunderts steckten schon berufshalber in kriegerischen Kettenpanzern, ganz auf Schutz bedacht, und ihr Unterzeug - strumpfhosenähnliche Beinkleider - wurden langsam hoffähig und der Renner für den modebewußten Mann auf der Suche nach dem Schönheitsideal seiner Zeit: überlang und jünglingshaft schlank. Die viel zu kurzen Röcke über der enganliegenden Tracht erregten öffentliches Ärgernis, und diverse Kleiderordnungen versuchten die unziemliche Bekleidung in Schach zu halten. Neben den Röckchen waren es vor allem die prallen Hosenlätze, die nach Vertuschung verlangten. Doch den Drang der Männer, selbst mit optischen Manipulationen im engen Genitalbereich männliche Überlegenheit zu demonstrieren, konnte keine Kleiderordnung aufhalten.
ie Modemacher der Renaissance waren die Landsknechte, ständig im Kampf unterwegs und mit prunkvoller Außenhaut darauf bedacht, den Gewinn im Söldnergeschäft nach außen zu demonstrieren: Bauschende Futterhosen gaben ihnen ein prachtvolles Aussehen. Krönung der phantasievollen Tracht war die „Schamkapsel“, die üppig das Geschlechtsteil nachformte, es sichtlich vergrößerte und Stärke und Angriffslust des Haudegen-Trägers symbolisierte.
Die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ließ die Männer im permanenten Kampf solche Spielereien vernachlässigen: Das Kriegshandwerk verlangte Körpergerechtes und Zweckmäßiges. Modische Torheiten fanden eher auf dem Kopf statt, breite Hüte wurden mit Straußenfedern oder Fuchsschwänzen geschmückt. Nach dem Krieg betraten die Franzosen den zeitgenössischen Laufsteg: In den höfischen Kreisen Frankreichs besann man sich aufs Weib im Manne, parfümierte sich, trug das Haar in wallenden Locken und die Hose, die bis zum Knie reichte, ordentlich weit. Die Geschlechtsteile blieben kokett versteckt, nur ein kleines Glöckchen über dem Gemächte verriet mit zartem Klang bei jedem Schritt, wo entlang es zum Eigentlichen geht.
Die Herren ohne Kniebundhose, die kämpfenden „Sansculottes“ der französischen Revolution, brachten solcherart Kleiderspielereien ins endgültige Aus. Ihre Hosen waren unförmig und wadenlang, ohne Sinn für Zierat und Schmuck. Und niemand fühlte sich mehr bemüßigt, der höfischen Mode zu folgen, die langen Hosen wurden zum tragenden Beweis der neuen Freiheit. Die zunehmende Industrialisierung besorgte ihr übriges, der Mann wurde zum Mann durch die Last seiner Unternehmung und Arbeit, der überbordende Blick aufs geschmückte Äußere war nicht mehr nötig für das eigene Selbstverständnis. Praktikabilität wurde zum ästhetischen Prinzip: Im grauen Anzug ist der Mann immer und überall gut angezogen, ohne abzulenken vom Wesentlichen. Und das besteht aus Tatendrang und Schaffenskraft, materiellem Erfolg und als Dreingabe - einer Frau zu Hause, in schönen Kleidern, als schmückendes Accessoire.
icht viel hat sich bis heute daran geändert, weder am Selbstbild des Mannes und schon gar nicht am grauen Tuch, das seinen Leib zusammenhält. Die Bügelfalte sitzt gerade und korrekt, der Knoten am Hals ist eng, und der Hosenlatz bleibt versteckt unter Knöpfen, Knopfleiste und Jackettunterkante. Modische Abenteuer sind der Jugend überlassen, im Vorstadium zum rechten Mannsein. Da durften, zu Zeiten des Hippie-Schmuses mit Flowerpower und Make-love -not-war, die Jünglinge im indischen Fummel Androgynes vorgaukeln, die Rockmusik-Fans ein Jahrzehnt später mit Lederhose und überdimensionaler Gürtelschnalle verschüttete Männlichkeit mogelpacken, die Punks der frühen 80er mit Hosenriß und Sicherheitsnadel wüste Fastfood-Sexualität signalisieren - die Adoleszenz holt alle wieder ein, im Anzug, desexualisiert, glattgebügelt.
Die wenigen, die in diesem ewiggleichen Reigen übrigblieben, ganz ohne Armani-Vorschlag und Pubertätsfreiwildbriefe, sind die Tunten, falsche Männer, die die Hosen ganz gern mal im Schrank hängen lassen und sich im Rock oder Kleid bewegen. Chou-Chou de Briquette, Berliner Tunten-Star, trägt das ungeteilte Beinkleid jenseits vom Show-Job auf der Bühne auch schon mal im öffentlichen Nahverkehr oder im Supermarkt: „Da vertippt die Kassiererin sich vor Schreck zu meinen Gunsten. Und die Leute machen mir Komplimente, meinen es aber nicht unbedingt ernst. Ey, schreit dann der Punker, is‘ ja irre, 'n Typ im Kleid. Und die Betrunkenen pöbeln mich an, Männer werden plump: 'Soll ich dich ficken?'“ Es sei zwar schwierig, das immer auszuhalten, „aber man muß es einfach machen. Man fühlt sich freier im Rock, und es hat was Erotisches.“
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