Die Höhenluft d der Couturiers

■ Haute Couture - der Name ist alles, der Rest nur Schall und Rauch. Denn was die Modeschöpfer der Spitzenklasse an Modellen auf den Laufsteg schicken, können (oder wollen) sich nur ein paar Hundert Käuferinnen leisten. Die Milliarden werden dagegen mit den Lizenzen für die berühmten Namen gemacht. Aus Paris berichtet

ALEXANDER SMOLCZYK.

s war ein Pariser Morgen des Jahres 1824, gleich am Blumenmarkt unten bei der Seine. Ein gewisser Pierre Parissot, durch die Revolution von den strikten Regeln der Schneiderzunft befreit, eröffnete eine schäbige 12 -Quadratmeter-Butike und bot den Handwerkern des Viertels eine bis dato ungekannte Ware an: Kleider von der Stange und zu einem festen Preis - Konfektionsmode. Ohne zeitraubende Anproben und Feilscherei, fertig zum Anziehen, „Pret-a -porter“.

Pierre Parissot wird mit seinem Laden „La Belle Jardiniere“ zum Henry Ford der Modeschöpfung, und Mode ein Busineß wie jedes andere auch. Das heißt - mit einer Ausnahme: Ein kleiner Rest von aristokratischer Schneiderei, von exklusiven Riten der Mondäne, hat sich - inklusive der GroßinquisitorInnen in Gestalt einschlägiger Magazine - bis heute halten können, und zwar mit steigender Tendenz. Die Haute Couture (sprich: Oht Kuhtür).

Wieder ein Morgen, diesmal im Januar 1990. Irgendwo an der amerikanischen Westküste besteigt eine Mrs. Candy Spelling, eine Nancy Kissinger, Ann Getty oder Paloma Picasso einen Jet Richtung Europa. Das Gepäck der Damen fällt durch ungewöhnliche Leichtigkeit auf. Kein Wunder: Die Koffer sind leer, denn frau ist auf dem Wege zu den Pariser Frühjahrs -Defilees von Yves Saint Laurent, Chanel, Dior, Christian Lacroix et.al. Die zwei Dutzend Damen steigen mit Vorliebe das Charles V. ist bekanntlich out - im Hotel Crillon ab, nicht weit entfernt übrigens vom schnöden Kaufhaus „La Belle Jardiniere“. Daraufhin beschäftigen sie sich zwei Wochen lang vor allem damit, ihre Koffer zu füllen, also: bei den Shows in der ersten Reihe zu sitzen, ein Kringelchen in die Modell-Liste zu malen (oder auch zwei oder auch zwanzig), sich - geleitet vom eigenen Geschmack (selten) oder von auserwählten Modejournalistinnen (keineswegs selten) - für einen persönlichen Farbton zu entscheiden und schließlich bis zu 16 (sechszehn) Mal zur Anprobe einer Abendgarderobe in den Haute-Couture-Showrooms zu erscheinen. Das kostet jede Menge Zeit (weshalb die arbeitssüchtigen Gatten, die Trumps, Agnellis, Watts auch zu Hause gelassen wurden) und Geld.

Nicholas Coleridge, der der „Fashion conspiracy“ jahrelang auf den Spuren war, schätzt die jährliche Einkaufsliste dieser Damen auf 367.500 Dollar durchschnittlich. Wobei zwei Wochen Shopping in Paris ein gutes Drittel ausmachen können: Ein simples Dior-Kleid kostet 7.000 - 12.000 DM, eine Abendkluft 20.000 DM - und Dior ist im Vergleich zu US -Couturiers noch spottbillig: Für 30.000 Dollar pro Stück wird Jimmy Galanos seine Fummel los.

ranzösische Haute Couture ist eine einmalige Verbindung von totalitärer Herrschaft des Referenten (der Name ist alles der Rest nur Schall und Rauch) und einer hochempfindlichen Ökonomik. Sie ist im Grunde das Geschäft von dreißig Modeschöpfern (davon neun in Paris), zwanzig Modejournalisten und -innen, einem Dutzend Aufkäufern (von denen jeder jährlich 200.000 Meilen umherjettet) und schließlich jenen weltweit zirka dreißig wichtigen Kundinnen, die mindestens ein Dutzend Modelle pro Jahr kaufen und deren Bekanntschaft wir bereits machten.

Von den zirka 600 bis 700 regelmäßigen Käuferinnen von Haute Couture kommen 250 aus den USA, 90 aus den Golfstaaten, 30 aus Fernost und sechs aus Großbritannien. Und ohne die Narco-Dollars der südamerikanischen Kundschaft hätte nicht nur ein Couturier längst pleitegehen müssen.

Diese Welt spricht ihre eigene Sprache und praktiziert auf ihren Welfare-Dinners, ihren Galas und „Shiny Set„-Parties Verhaltensweisen, deren hohe Komplexität an die Welt Swanns heranreicht. Kurios an dem Ganzen ist, daß Haute Couture mit Mode eigentlich nicht mehr viel zu tun hat. Sie ist zu teuer, um stilbildend sein zu können, und sie zeichnet sich in den meisten Fällen nur durch aufwendige Verarbeitung (jedes Modell ist ein von Kopf bis Fuß handgenähter Prototyp) und erlesenes Material aus - nicht jedoch durch avantgardistisches Design. Welcher amerikanischen Lady wäre schon ein wahrhaft innovatives Gaultier-Maso-Gewand anzudrehen?

Zwar tauchen in jeder Kollektion Teile auf, die nicht für den Verkauf gedacht sind, sondern eine gewisse hauseigene Scherenschrift zum untragbaren Höhepunkt treiben. Doch stilbildende Trends werden inzwischen vor allem von den „createurs“ gemacht, die in der oberen Spielklasse des Pret -a-porter den Ton angeben: Yamamoto, Mugler, Gaultier, etc. Allerdings meinten Beobachter bei der letzten Pret-a-porter -Frühlingsshow eine Konvergenz zwischen den ausgefeiltesten Createur-Schöpfungen und einfacheren Haute-Couture-Modellen ausmachen zu können.

elch rätselhafte Erscheinung: Haute Couture ist ein Milliardengeschäft um jährlich 3.000 Modelle, das einem sozialen Minimum die standesgemäße Bekleidung liefert, dabei mit einem maximalen publizistischen Aufwand verbunden und zu allem Überfluß - noch unrentabel ist. Denise Dubois, Sprecherin der „Chambre Syndicale de la Couture Parisienne“ gibt den Umsatz von „Couture“ für das Jahr 1989 mit 3.06 Milliarden Francs an (900 Millionen DM), wovon die Haute Couture 10,5 Prozent ausmacht. Aber: „Mit Ausnahme von ganz wenigen Couturiers ist die Haute Couture ein Defizitunternehmen. Es geht nicht darum, Geld zu verdienen, sondern ein gewisses Leitmotiv, ein Markenimage beizubehalten.“ Eine einzige Show kostet rund eine halbe Million DM - nicht gerechnet die Opportunitätskosten, die es mit sich bringt, eine en-vogue-Schauspielerin mit Gratisgarderobe zur Defilee zu locken.

Pierre Berge, Manager von Yves Saint Laurent und nebenberuflich Leiter der Bastille-Oper, gibt ohne Umschweife zu: „Couture ist unser Werbebudget.“ Es geht einzig und allein um den Namen des Couturiers, anders gesagt: Man macht Couture, um Couturier zu sein. Und das hat seinen tiefen Grund.

„Couturier“ nämlich darf sich nur nennen, wer in Paris mindestens 20 Vollzeitschneider beschäftigt, mindestens 65 Modelle im Jahr und auf Maß herstellt und dieselben in zwei öffentlichen und 45 privaten Shows vorführt. So will es die „Chambre Syndicale“. Versehen mit dem Adelstitel „Couturier“ können die Diors, Lacroix, Chanels dann in das Franchising -Geschäft einsteigen, mit dem das große Geld (na also!) zu machen ist: Die Couturiers verkaufen ihren teuren Namen nicht weniger billig an Produzenten von Sonnenbrillen, Parfüms und Handtaschen. So fällt ein stiller Glanz der großen Welt auch auf uns einfache Erdenbürger, wenn wir im Duty-Free zur Dior-Plastikbrille greifen.

Übertrieben? Keineswegs, die Welt funktioniert derart schlicht: Branchenführer Yves Saint Laurent (YSL) machte im letzten Jahr 83 Prozent seines Umsatzes (3.057 Milliarden Franc) mit Duftwässerchen seines Namens. Pecunia olet. Der (interne) Rang eines Couturiers bemißt sich in der Anzahl von Lizenzen, die er vergeben hat. Pierre Cardin hat es auf 840 gebracht.

ennoch ist YSL noch der einzige Couturier, der inzwischen nicht nur an der Börse der Geschmäcker, sondern auch an der wirklichen Börse gehandelt wird und den Sprung zum Multikonzern in Sachen Luxus geschafft hat, zu dem - der Binnenmarkt lockt - auch andere Modisten ansetzen. Der italienische Raider Carlo de Benedetti hatte schon 1986 37 Prozent von YSL aufgekauft und mit der Ritz-Gruppe verschmolzen. Die aristokratische Haute Couture dient den Firmenaufkäufern ebenso als Statussymbol, wie den Neureichen des Second Empire der angeheiratete Adelstitel.

Als die Midlandbank letztes Jahr den ältesten Pariser Couturier-Namen Lanvin aufkaufte, ging es bestimmt nicht um dessen Verkaufszahlen: Lanvin habe, so wird in den Showrooms des Faubourg Saint Honore geflüstert, in der vorangegangenen Saison kein einziges Kleid verkauft... Doch Midland kaufte sich wenig später noch den Edelschneider Claude Montana dazu und bot das Lanvin-Paket Frankreichs frühreifem Finanzgenie Bernard Arnault an. Der arbeitet bislang erfolgreich an dem Luxus-Trust „Moet-Hennessy-Louis-Vuitton“ und ließ sich nicht lange bitten. Im Februar schlug er zu und kann sich nun auch einen wahren Couturiers-Namen aufs Firmenschild heften.

Der wahre Adel der Branche hebt angesichts solcher Manieren natürlich mißbilligend die Augenbrauen. Doch merke: Die Zeiten werden rauher, auch in den luftigen Gefilden der Pariser Haute Couture. Und wie besang schon David Bowie einst die Mode: „It's big and it's bland, full of tension and fear.“