Das Bio-Defilee

■ Die naturbelassene Umhüllung für post-puritanische Apresgardisten erhielt diese Saison neue Impulse.

Von der Trendschau berichtet

RÜDIGER KIND.

ls ich vor Jahren in einer Waschmittelwerbung die Klage einer verzweifelten Hausfrau hörte: „Mein Pulli ist so weit und lappig und deiner frisch und tadellos in Form“, rückte das Phänomen des Leierbündchens als Geißel der Menschheit erstmals voll in mein Bewußtsein. Seither läßt es mich nicht mehr los. Keine U-Bahnfahrt, ohne daß ich meinen Beobachtungen weitere empirisch gewonnene Befunde hinzufüge. Für den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung ist die Form am Saum nämlich oberstes Gebot. Nie würde sich die modebewußte Sekretärin mit lappigem Pullibund ins Büro wagen.

Aber es gibt einen, wenn auch zahlenmäßig weitaus geringer zu veranschlagenden Teil der Bevölkerung, für den derartige Pingeligkeiten zu den Horrorvisionen eines durch und durch dekadenten, bourgeoisen Modediktats zu gehören scheinen, dem sie mit offensiv zur Schau gestelltem Schlabberlook tagtäglich den Kampf ansagen.

Kleidung dient diesem vorwiegend dem rot-grünen Sozialarbeiterspektrum zuzurechnenden Personenkreis nur einer Funktion - möglichst bequem, möglichst naturbelassen und möglichst atmungsaktiv den Körper zu bedecken, daß möglichst wenig Geschlechtsspezifisches der TrägerInnen darunter zum Vorschein kommt. Daß ein Körper nicht nur gesund, sondern auch sinnlich sein kann, scheint unbekannt. Verhüllung im Dienste der Verführung gar scheuen diese modemäßigen Postpuritaner wie der Teufel das Weihwasser.

iesen Teil der Menschheit hat nun auch die Modebranche als KundInnen entdeckt. Im Rahmen der diesjährigen Münchner Frühjahrsmodewoche fanden insgesamt neun „Trendschauen“ statt, die vom „DDR-Designer-Defilee“ bis zur Dirndlpräsentation im „größten Trachtenzentrum der Welt“ in Halle 15 reichten. Gesundheitsbewußte Modeschöpfer aus der Bundesrepublik, Dänemark und Schottland (südlich der Alpen ist eine derartige Unmode sowieso unverkäuflich) hatten sich zusammengetan, um ihre Vorstellungen von einer tragbaren, ganzheitlich orientierten Biomode ins rechte Rampenlicht zu setzen.

Ihre Kollektionen weisen einen bis dato nicht für möglich gehaltenen „dritten Weg“ zwischen dem uniformen Modediktat der etablierten Designer und den eher zur Unförmigkeit neigenden Schöpfungen heimischer Strick- und Webemühen an langen Winterabenden.

Der Trend geht dabei eindeutig zur jederzeit tragbaren Multifunktionskleidung. Erdmute Sandlers Kollektion mit ihren leger akzentuierten Silhouetten schließt die Lücke zwischen überspitzt eleganter Abendgarderobe und hemdsärmeliger Ökokluft. Ihr „Kleines Braunes“, ein zeitlos schlichtes Hängekostüm aus handgewirktem peruanischen Lamafilz überzeugte auch die hartgesottenen Einkäufer der Damenoberbekleidungsbranche. Exemplarisch demonstriert Erdmute Sandler ihre Philosophie am Modell „Bolero“, einer verspielten Variation eines spanischen Themas in Form eines Strickwamses in Zopfmusterdesign, mit dem Frau sowohl an kühlen Sitzblockadenabenden als auch für die alternative Maifete perfekt angezogen ist.

Eine äußerst tragbare Anleihe an die Traditionen ihrer schottischen Heimat machte Agnes Bednam mit ihrem keltischen Wickelrock „Walla Walla“, dessen handgewebter Stoff aus schottischer Schafswolle in der Hüftpartie schmeichelt und sicherlich sehr dankbar im Tragen sein dürfte. Bei den Hosenmodellen unternimmt sie einen Ausflug ins Hochland: Inspiriert von den Farben ihrer Heimat, präsentiert sie hochmodisch-robuste Beinkleider in erdigen, gedeckten Farben, deren Eintönigkeit einzig durch leuchtend heiderosa und minzgrüne Joppen aus flauschigem Schafsvlies kontrastiert werden. Die schockierende Unvereinbarkeit der Materialien wird jedoch virtuos bewältigt.

as gibt es Neues im Bereich ökologisch orientierter Herrenoberbekleidung? Männer, die sich bislang von Quetschjeans den Unterleib einschnüren ließen, können aufatmen: Die neuen City-Slops von Bio-Toop! machen die bewährt-bequeme Gummizugjogginghose salonfähig. Lässig im Schnitt, locker im Schritt, kommt das extra weit gearbeitete Beinkleid aus von ägyptischen Fellachen handgekettelter Baumwolle beim körperbewußten Mann gut an.

Selbst das bewährte Sakko erfährt durch die body-minded Designer eine neue, überraschende Interpretation. Beidseitig verstärkt, aus naturbelassenem Sackleinen, mit Applikationen von Gorleben und Wackersdorf-Stickern wird das „Sacko“ im kommenden Sommer der Blickfang auf allen Kirchentagen, Menschenketten und Ost-West-Begegnungen sein.

Der letzte Schrei für Ihn jedoch ist der „Rocker“. Sicher nichts für den Liebhaber der klassischen Silhouette, ist er doch eine bemerkenswerte Alternative zum gängigen Hoseneinerlei: Der Rock aus herrlich fallendem Lofoten-Tweed läßt die weiblichen Momente in ihm voll zur Geltung kommen und ist ausgesprochen gesäßfreundlich. Erhältlich ist das unkonventionelle Teil in den neuen Modefarben der Saison Tofu, Dinkel und Alge. Allerdings nicht ganz billig, wird es doch in den Ateliers von Escapa gefertigt, einer Firma, die sich ganz auf Maßkonfektion für den anspruchsvollen Aussteiger spezialisiert hat und deren Kollektion nur über den gehobenen Herrenoberbekleidungseinzelfachhandel zu beziehen ist.

ber was wäre das Defilee der alternativen „Mädels“ ohne das zum gesunden Outfit passende Schuhwerk? Schuhe müssen nicht mehr wie Gummiboote aussehen - egal ab Bad Wörishofener Kneipp-Sandalen, Roots oder Birkenstock, der von Schuhfetischisten gefürchtete Quadratlatschenlook ist in der kommenden Saison endgültig out. Es müssen ja nicht gleich Stöckelpumps sein, aber die Spezies der „Plumps“ war wohl doch nicht der Biodesigner letzter Schluß. Die neue Männertretergeneration von U-Boots vereinigt Gesundheitsanforderungen und Modebewußtsein in ganzheitlicher Harmonie. Der Versuch, den plumppatschigen Müslimanenmodellen einen Pfiff urbaner Eleganz einzuhauchen, darf allerdings als nur teilweise gelungen angesehen werden: Ihre Träger, meist postjuvenile Andre-Heller-Typen mit sanft wehenden Pluderhosen, tragen meist derart affig ihre im Hier und Jetzt verwurzelte Awareness zur Schau, daß der Mann von Geschmack im Zweifelsfall doch wieder zum bewährt maßgeschneiderten Schuhwerk greifen wird.

ind die Zeiten, als Klamotten so aussahen, als seien sie zwischen den Mahlsteinen einer Vollwertmühle gewalkt worden, also endgültig vorbei? Fast sieht es so aus. Die Dialektik von Form und Inhalt hat auch im alternativen Bewußtsein einen Sprung auf eine qualitativ höhere Stufe gemacht. Daß dabei manches Mal allerdings ins andere Extrem verfallen wird, zeigt das Beispiel der zum Kreis der Osnabrücker Öko -Avantgarde zugehörigen Modetöpferin Mechthild Dönneman -Brahms, deren Schöpfungen sich streng an den Leitlinien ihres großen Vorbildes Andre Courreges orientieren. Dessen Aussage von 1969, „Ästhetik ist nur die Hülle. Ein Modekünstler ist genauso sehr ein Künstler wie ein Tischler, ein Töpfer oder ein Architekt“, hat sie vielleicht eine Spur zu wörtlich genommen. Ihr avantgardistisch wirkender, handgetöpferter Kaminrock mit doppelt gebrannter altgermanischer Runenbemalung läßt sich zwar buchstäblich „Ton in Ton“ mit einem dazu passenden, phantasievollen Bandkeramikoberteil kombinieren, aber im Großen und Ganzen scheint ihr kühner Entwurf, das Problem des Leierbündchens auf derart radikal-ökologische Weise lösen zu wollen, denn doch etwas starr geraten.