Weiblichkeit und Wahn

■ Sigi Rothemunds Psychokrimi „Das Haus am Watt“ mit Gudrun Landgrebe, 20.15 Uhr, ZDF

Es gibt keine guten Drehbücher!“ klagt ZDF-Redakteurin Elftraud v. Kalckreuth, die in der Betreuung eines gelungenen Projekts wie Das Haus am Watt eher die Ausnahme sieht. „Als ich hier anfing, dachte ich, mein Schreibtisch böge sich unter guten Büchern und ich brauchte nur auszuwählen“. Weit gefehlt. Gute Bücher, ein Psycho -Thriller zumal, sind eine Rarität. Übermächtig lenkt das Monopol amerikanischer, englischer und französischer Vorbilder hiesige Schreiber von spezifischen, regionalen, einheimischen Problemen und Themenstellungen ab.

Drehbuchautorin Sabine Thiesler, im ZDF bislang für Unterhaltendes zuständig, verfaßte eine mutige, im positiven Sinne unzeitgemäße Betrachtung von Weiblichkeit unter besonderer Berücksichtigung einschlägiger Genre-Mechanismen. Unzeitgemäß ist Das Haus am Watt daher, weil es bei ambitionierten Projekten dieser Thematik üblicherweise zum guten Ton gehört, daß sie aus der Perspektive weiblicher Emanzipationsbestrebungen sowie den daraus resultierenden Konfliktfeldern erzählt werden. Wer nimmt denn heute noch die Probleme einer Frau (im Film) ernst, die dem überkommenen Klischee des braven Heimchens entspricht?

Lena Golborn (Gudrun Landgrebe) war restlos glücklich in der ihr von der sexistischen Arbeitsteilung aufgezwungenen Hausfrauen-Rolle. Kleiderfabrikant Ulrich (Hanns Zischler) brachte die Kohlen heim, während sie die Bude in Schuß hielt. In der rigiden Institution der bürgerlichen Ehe, die das Vorbild abgibt, verhält es sich aber nun mal so, daß die Frau hinter ihrem Herd schneller Falten bekommt, ihre Attraktivität und damit ihren „Marktwert“ einbüßt. Ein Mann wie Ulrich bedient sich daher auf dem „Schwarzmarkt“, wird Ehe-vertragsbrüchig“. Der unvermeidliche Ehe-GAU folgt, als er sich erstmals auf das Auswärtsspiel einläßt. Welche Möglichkeiten stehen einer Frau in diesem von Männern gemachten Spiel offen?

Die Ruhe, mit der die gelernte Apothekerin Lena an diesem Morgen ihrem Mann die Cornflakes serviert, resultiert aus dem Wissen um das Gesetz, daß selbst derjenige, der die Gesetze macht - und die Gesetze der Realität werden von Männern gemacht -, sich ihnen genauso zu unterwerfen hat. Ohne allzuviel zu verraten: Es ist, nach den Gesetzen des Genres, durchaus legitim, daß Lena Golborn ihren Mann vergiftet und in den Brunnen wirft, ebenso wie dessen jüngeren Bruder Max (Hannes Jaenike), der versucht, an des großen Bruders Stelle zu treten. Wobei er dessen gravierenden Fehler wiederholt...

Das Paradox, das die intelligent konstruierte Filmhandlung genüßlich zelebriert, ist der Umstand, daß Lena die Regeln bürgerlichen Zusammenlebens strenger befolgt, als dem Ehemann Max lieb sein kann. Indem sie sich strikt ans Gesetz „Du sollst nicht ehebrechen“ hält und trotzdem die Konsequenzen aus Max‘ Fehltritt zieht, wird sie mit dem Wahnsinn bestraft. Der Wahn äußert sich in Lenas Verdrängung der Abwesenheit und des Todes ihres Mannes, den sie durch die physische Anwesenheit Ulrichs ersetzt. Folglich hat sie sich auch an das „Du sollst nicht töten“ gehalten. Rückblenden, die Lenas Trauma, verlassen zu werden, wieder aus der Kindheit motivieren, wirken leider störend. Wovon der Film erzählt, ist die Unmöglichkeit, sowohl eine Ehe zu führen als auch keine. Für einen Fernsehfilm eine bemerkenswerte Konsequenz.

Im respektablen Deichgrafenhaus des FDP-Abgeordneten Ronneburg abgedreht, hat der Routinier Sigi Rothemund den Stoff dem Budget eines Fernsehfilms angemessen umgesetzt. Auf packende Weise hat Kameramann Rolf Liccini die schnell wechselnden Stimmungen der Protagonisten und das ganz spezielle Licht in der Einsamkeit der Wattlandschaft bis hin zu den eigenartigen Wolkenbildungen eingefangen.

Manfred Riepee