Deutsche Filmemacher auf Stalins Balkon

■ Zum „1.Deutschen Filmtag“ vergangenes Wochenende in Babelsberg

War dieses Wochenende wirklich nur eine Plauderei an Stalins Kaminen und brachte der 1.Deutsche Filmtag den 46 Angereisten aus der BRD und West-Berlin sowie den 48 Teilnehmern aus der DDR etwas Nutzbringendes für die Lösung der anstehenden Probleme? Übrigens ist das mit Stalins Kaminen wörtlich gemeint. Denn in der ehemals luxuriösen Villa Karl-Marx-Straße 27 in Potsdam-Babelsberg, die heute der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) der DDR „Konrad Wolf“ gehört und für einige hitzige Debattierstunden die Filmtagenden beherbergte, residierte vor 45 Jahren während der Potsdamer Konferenz der Generalissimus höchstselbst.

Daß die in der DDR bisher gepflegten stalinistischen Strukturen auch Filmkunst und Kinokultur großen Schaden zufügten und die Enthusiasten nun all ihre Kraft aufwenden müssen, um aus der bisher staatlich verfügten Lethargie herauszukommen, war sicher eine zentrale Idee, die zu diesem Treffen führte. Der Einfall dazu entstand während der Berlinale, und die Organisatoren - die Fachverbände der Bundesvereinigung des Deutschen Films, die Hochschule für Film und Fernsehen sowie der Film- und Fernsehverband der DDR - hatten nur eine knappe Vorbereitungszeit.

So klappte es mit der konzeptionell-inhaltlichen Einstimmung nicht so gut, und es scheint fraglich, ob die Teilnehmer dieses 1.Deutschen Filmtages wirklich auf ihre Kosten gekommen sind. Außer einer soziologisch-statistischen Untersuchung zum DDR-Lichtspielwesen gab es keine weiteren obwohl angekündigten - Kurzreferate, sondern nur eine langwierige Selbstdarstellung aller Telnehmer. Zu ihnen gehörten so hochrangige wie der Filmbeauftragte des Berliner Senats, Hans Robert Eisenhauer, der Generaldirektor des DEFA -Spielfilmstudios, Gert Golde, und als Gastgeber, der Rektor der HFF, Prof. Dr. Lothar Bisky. Angereist waren aus München, Hamburg, Frankfurt/Main, aus Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und West-Berlin Filmemacher und Produzenten, Verleiher und Kinobesitzer, TV-, Kabel- und Videospezialisten, Vertreter von Filmbüros, Verbände, Industriegewerkschaften und Arbeitskreisen.

Von wesentlich geringerer Vielfalt ist das Film- und Kinoterrain jenseits der löchrig gewordenen Mauer. Das zentralistische System produzierte eine DDR-weite Eintönigkeit: In jedem Bezirk arbeitet eine Bezirksfilmdirektion, der alle Kinos gehören. Die professionellen Filmemacher sind bei der DEFA angestellt. „Progress“ ist der einzige Verleih. Freischaffende Produzenten passen nicht in die Landschaft. Und diese Situation spiegelte sich auch an der DDR-Teilnahme wider. Besonders befremdlich: kein einziger Spielfilmregisseur des nahegelegenen DEFA-Studios war anwesend; von den 15 eingeladenen Bezirksfilmdirektionen waren elf nicht vertreten. Mehrfach wurde die Vermutung laut, daß die Leiter der eigentlich volkseigenen Lichtspielbetriebe mit westdeutschen Partnern Geschäfte vereinbaren, die eher privaten Charakter tragen. Jeder muß eben zusehen, wie er seine Schäfchen ins Trockene bekommt.

Ein angenehmer Außenseiter meldete sich aus der zukünftigen sächsischen Hauptstadt und berichtete vom ersten unabhängigen „Filmfest Dresden„; allerdings kam er nicht dazu, zu erläutern, wie es dieser Initiative gelungen ist, mit BRD-Sponsoren zusammenzuarbeiten, wie ihnen die Filme umsonst ausgeliehen wurden und sie dennoch autark bleiben konnten. Trotzdem: Enthusiasten wie diese Dresdner und der Verein, der sich zur Rettung, Rekonstruktion und zum Betreiben des (Ost-)Berliner Filmkunst-Theaters „Babylon“ zusammengefunden hat - solche Cineasten mit Ideen und Pfiffigkeit braucht das DDR-Kino, damit es nicht im Sumpf des Kommerzes erstickt.

Zu diesem Problem gab es vehemente Diskussionen, als sich am sonnigen Sonntag vormittag der 1.Deutsche Filmtag in Arbeitsgruppen den mehr konkreten Themen zuwandte: der Filmförderung und den Produktionsbedinungen, dem Verleih und dem Kino, dem Verhältnis von Film, Fernsehen und Video. Vor den mit Film und Kino Beschäftigten in der DDR stehen Neuland-Aufgaben, die Erfindungsgeist und Durchsetzungsvermögen verlangen. Denn in diesem Land mit überalterten, umweltschädigenden Industrieanlagen, heruntergewirtschafteten Altstädten, schlaglöchrigen Straßen, erneuerungsbedürftigem Schienennetz, nach Geld schreiendem Gesundheitswesen und und und werden die Stadtväter, die Finanzgewaltigen in den Bezirken oder zukünftigen Ländern mit großen Vorbehalten auf die Wünsche der Film- und Kinoleute blicken.

Die zum Filmtag aus der BRD Angereisten wissen das zwar, gingen jedoch in vielen Diskussionsbeiträgen von ihren ureigenen Bedingungen aus. So sprachen alle Deutsch, doch war es manchmal, als unterhielte sich eine Chinese mit einem Finnen. Zu Ergebnissen kam es aber doch. So wird es zum Beispiel Ende April ein gesamtdeutsches Treffen der Dokumentaristen geben. In zahlreichen individuellen Gesprächen wurden Ratschläge von West nach Ost ausgeteilt ob sie wirklich so selbstlos und ohne jeden geschäftlich bedingten Hintergedanken gegeben wurden, wie manch Gutgläubiger meinte, wird die Zukunft zeigen.

Da eine Veranstaltung mit einer 1 im Titel automatisch nach einer folgenden verlangt, plant man einen 2.Deutschen Filmtag - vielleicht Ende Mai während des Nationalen Spielfilmfestivals der DDR. Die Resolution darf bei solch einem Treffen natürlich nicht fehlen. Es gab gleich zwei eine, die sich für den Erhalt der DDR-Filmkunst durch staatliche Subventionen, neue Produktionsformen und eigenständige Modelle der Filmförderung ausspricht, eine zweite, die die Offenlegung der Geschäftsabschlüsse im Lichtspielwesen, vielfältige Eigentumsformen an Filmtheatern, Erhalt der Filmkultur und in jeder der 15 Bezirksstädte ein subventioniertes kommunales Kino fordert.

Am Ende ein letzter Blick von der HFF auf den idyllischen grünumsäumten Griebnitzsee, umkränzt von drei Stacheldraht und Gitterzäunen, umstellt von betongrauen Wachtürmen und der Mauer - das möge beim 3. oder 4.Deutschen Filmtag der Geschichte angehören. Schnell noch ein Foto von dieser historischen Stelle aus Stalins Blickwinkel.

Constanze Pollatschek