Im Schlüsselmuseum des Marais

 ■  Entree Gratuite - Pariser Miniaturmuseen

Entree Gratuite - nach diesem Motto hat der Pariser Korrespondent der taz Miniaturmuseen in der Seinestadt besucht. Heute in unserer vorösterlichen Serie: das Schlüssel- und Schloßmuseum im Hotel de Bezon.

Wie bringe ich meinen Nächsten um? Und: Wie sichere ich meinen Besitz vor ihm? Antwort auf diese beiden Grundfragen konnte bis in die jüngste Neuzeit hinein nur einer geben: der Schlosser - Flintendreher und Schlüsselschmied in Personalunion, der High-Techniker des Abendlands. Zum Ruhme des Schlosserwesens wurde im Pariser Hotel de Bezon, wo der Aufklärer Diderot sein Leben aushauchte, ein Schlüssel- und Schloßmuseum eingerichtet. Das Objekt der Begierde zahlloser Generationen von Galanten, Intriganten und Marodeuren, von Umstürzlern und Hochstaplern, ist hier in harmlosen Vitrinen ausgestellt: die Schlafzimmerschlüssel der Marie-Antoinette und der Kaiserin Eugenie, das Schloß zum Palais Royal (mit den Spuren der Axtschläge jener entschlossenen Kommunarden von 1871), eine hochkomplexe, allerdings durchgerostete, Korsarenschatztruhe und die Universalschlüssel der Gemächer von Napoleon, Louis XVI. und vom russischen Zaren.

Gern demonstriertes Meisterstück: ein aufgesperrter Löwenkopf aus dem Jahr 1780, in dessen Schlund ein Türschloß versenkt ist und dessen Kiefer sich blitzschnell schließen, falls ein falscher Schlüssel im Inneren des Rachens herumstochert. Der Dieb wird vom Löwen festgehalten und eine ebenfalls ausgelöste Bimmel alarmiert die Gendarmen. In Frankreich wurden derartige Schlösser des Types „Pince voleur“ übrigens vor einem Jahr untersagt, nachdem einer älteren Dame die Fingerspitzen bei dem Versuch abgehackt wurden, in ein gutgefülltes Postschließfach noch einige Briefe zu deponieren.

Zur Geschichte des Verschließens gehört als schwarzes Gegenstück diejenige des klandestinen Öffnens. Das System des Schlüssels ist seit den Zeiten seines Erfinders Theodor von Samos das gleiche: ein Riegel wird von Stiften, die nach einem bestimmten Code geschliffen oder gesägt wurden, blockiert und festgehalten, solange bis ein Gegenstift eingeführt wird, dessen Form den Gegencode bildet und die Blockade neutralisiert. In 2.500 Jahren Schlüsselgeschichte ging es - wie so oft im Leben - stets nur darum, in den Besitz des Codes zu gelangen. Zwar wurden, wie das Museum zeigt, im 18. Jahrhundert in jahrelanger Arbeit Kunstschlösser gebaut, deren Schlüsselbärte wie islamische Kalligraphien aussehen - doch immer war es nur eine Frage der Zeit, bis der Code geknackt wurde. Im 19. Jahrhundert wurden unter leidenschaftlicher Teilnahme des Publikums von Schloßfabrikanten Prämien auf die Unknackbarkeit ihrer Produkte ausgesetzt, und noch jedes Mal sollte sich ein Dietrich-Künstler finden, der - meist bezahlt von der Konkurrenz - die Schränke und Tresore zu öffnen vermochte.

Ein unendlicher Wettlauf, der trotz elektronischer Sicherungen nie beendet wurde: „Es ist ein permanenter Krieg“, mußte auch der Museumswärter in seinem langen Leben erfahren, das er dem Schloßfabrikanten Bricard („absolute Aufsperrsicherheit garantiert“) geweiht hat. „Wir bauen Kunstschlüssel mit 26 geometrischen Figuren und einer Schnappkugel an der Spitze - umsonst. Nach drei Jahren müssen wir das System wieder ändern, weil die Einbrecher es geknackt haben.“ Bedauerlicherweise würden auch Mitglieder des Pariser Schlosser-Corps nicht davor zurückschrecken, Interessierten, aber durchaus Unbefugten, jenen „Parapluie“ zu verkaufen, mit denen auch Bricard-Schlösser ohne Schlüssel zu öffnen sind: eine messinggefaßtes Hakenbündel, mit dem sich jeder Code nach dem Tatonnementverfahren abbilden läßt. Allerdings, so muß auch der Wärter eingestehen, würde die hohe Schule des Panzerknackens heute kaum noch praktiziert. Meistens würden Schlösser brutal aus der Tür herausgesägt. Das hat es in der Zivilisationsgeschichte schon einmal gegeben, wodurch eine empfindliche Lücke auch in die Sammlung des Hotel de Bezon gerissen wurde: zwischen dem 3. und dem 10. Jahrhundert, als sich Europa ohne großes Federlesen Türen und Schädel einschlug, wurde im Abendland kaum ein Schloß angefertigt. Im Museum des Schlüssels wird diese Periode als „Zeit der Barbarei“ geführt.

Alexander Smoltczyk

Musee de la Serrure, Musee Bricard, 1, rue de la Perle; 75003 Paris. Tel.: 42 77 79 62