MARCIA PALLY

■ Short Stories From America: Die letzten Jagdgründe in Osteuropa

Osteuropa

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist Filmkritikerin des amerikanischen 'Penthouse‘. Sie schreibt unter anderem für die 'New York Times‘, 'Taxi‘, 'The Nation‘ und einmal im Monat für die taz.

Als das Reisebüro meines Mannes Chip kurz nach der Öffnung der Mauer unsere Reise plante, war mir klar, daß uns ein Abenteuer bevorstünde. Aber in letzter Zeit bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich auf Osteuropa-Safari gehen möchte. Ich weiß, dort liegt die Herausforderung unserer Zeit riesige Flächen unerschlossenen Landes voller rapide verschwindender Arten: Leninisten, Titoisten und sogar der fast ausgerottete Jaruzelskianer. Und ich hätte so gerne einen für unser Arbeitszimmer. Wie ich gehört habe, sind die Einheimischen ganz reizend. Sie kommen aus ihren Häusern gelaufen und begrüßen Besucher mit Kränzen aus rostigen Fließbändern, Pflugscharen und ähnlichem.

Ich weiß, daß uns viel entgeht, wenn wir nicht jetzt fahren. Denn bald verschwindet die einheimische Architektur wie Pompeji - unter der Lava von Einkaufszentren und McDonald's-Läden. Geschäftemacher haben die Mauer schon tonnenweise aufgekauft - zwischen November und Februar genau 59 Tonnen -, und mein Mann möchte nicht, daß ihm diese robusten Stalin-Statuen oder die antiken Traktoren weggeschnappt werden. Ich bestand darauf, daß Chip mitkommt, weil er sich in geschäftlichen Dingen gut auskennt, und wir sind ja vorsichtig mit dem Importieren, seit einige Regierungen Druck auf das Britische Museum ausgeübt haben und ihre nationalen Kunstschätze zurückforderten. Natürlich haben diese Länder recht und sollten ihre Geschichte in ihren eigenen Museen ausstellen können. Nur ist es für uns viel leichter, uns um solche Angelegenheiten zu kümmern, bis diese Länder ihre Wirtschaft wieder in Gang gebracht haben. Den Kunstschätzen zuliebe...

Die Reisemagazine sind voller großer Berichte über Osteuropa - ein sicherer Hinweis darauf, daß man vor der sommerlichen Touristenwelle hinfahren sollte, insbesondere weil die 'Times‘ Artikel in dieser Art fast jeden Sonntag veröffentlicht und alle möglichen Leute sie lesen. Chip und ich kümmern uns nicht allzu sehr um Empfehlungen für Rockmusik in Prag, Budapester Bluegrass oder in saurer Sahne schwimmende Menüs, aber wir fühlten uns etwas unter Druck gesetzt von dem Bericht über ungarische Stallungen und die Reitmöglichkeiten in Nagycent. Auch den Artikel über Mietwagen in Europa fanden wir sehr beunruhigend, weil dort stand, daß die Gesellschaften sich wegen der hohen Diebstahlquote weigern, Luxuswagen an Ost-Reisende zu vermieten. Das meine ich, wenn ich sage, ich bin mir nicht sicher, ob ich hinwill.

Die Diebstähle..., sind diese Reisen nicht etwas riskant? Es steht auch viel in den Zeitungen über Neo-Nazi-Parteien und umgedrehte Kommunisten, die bei den Wahlen in Ost -Deutschland kandidierten - und nicht nur die PDS, die ein Comeback im großen Stil hat. Der Spitzenkandidat des Demokratischen Aufbruchs war ein Spitzel für die Roten, und mindestens fünf andere Parteien „kollaborierten mit den Kommunisten“. So wird es hier in den Nachrichten immer gesagt.

Natürlich ist es beruhigend, daß die CDU-Allianz in der DDR gewonnen hat und daß die drei wichtigsten Wahlkampfversprechen mit D-Mark zu tun haben und nicht mit germanischen Gefühlen oder anderen Sentimentalitäten. Und trotzdem muß die CDU vielleicht eine Koalition mit den Sozialisten bilden; die Russen schicken Panzer nach Litauen, und Deutsche und Polen starren sich über ihre nicht endgültig festgelegte Grenze hinweg wütend an. Und dann sind da noch all diese ethnischen Konflikte in Zentraleuropa, wie wir sie in Kamboscha kennengelernt haben, als wir damals Vietnam verließen, und dort haben wir nun wirklich keinen Urlaub gemacht. In der Zeitschrift mit den Fotos von Nagycent gab es auch noch einen anderen Bericht über Rumänen und Ungarn, die sich gegenseitig umbringen, und einen langen Artikel mit Zitaten von verschiedenen Psychiatern zu dem emotionalen Streß, dem die Osteuropäer ausgeliefert sind, und der Instabilität neuer Demokratien.

Die 'New York Times‘ vom 18.März brachte ein außerordentlich beunruhigendes Foto des furchtbaren Absturzes einer PanAm-Maschine unter der Überschrift „The German Connection“. In der Unterzeile stand: „Dadurch daß die Westdeutschen auf einem Auge blind waren, erlaubten sie einer terroristischen Organisation, Fuß zu fassen und sich auszubreiten.“ Ich bin sicher, daß die Deutschen mit so was sehr vorsichtig umgehen, aber wenn eine Gruppe von Arabern ein solch ausgedehntes Netz in Europa aufbauen kann, wieviel leichter muß es dann erst für Radikale sein, die weiß, äh ... äußerlich nicht von den Einheimischen zu unterscheiden sind. Was ist mit Malev Airlines, die aus Respekt vor Bombendrohungen vom heiligen Islamischen Krieg Flüge von Ungarn nach Israel abgesagt haben? Was ist mit der Vergeltung für den Brand in der libyschen Chemiefabrik? Vielleicht sollte sich das Olympische Komitee doch noch einmal überlegen, ob man die nächsten Spiele nicht lieber nach, sagen wir, Australien verlegt.

Ich sehe ja ein, daß wir verpflichtet sind, den Menschen zu helfen, die darum kämpfen, unsern Lebensstil kopieren zu dürfen. Es ist unsere Verantwortung, sie zu unterstützen; es ist unsere Bürde. Aber wenn unsere Regierung aus Sicherheitsgründen keine Apple-Computer an die polnische Opposition verkauft - Menschen, die schließlich so hart arbeiten, um zu werden wie wir -, sondern sie lieber in Utah vergräbt, ist der Osten dann sicher genug zum Reisen?

Ein bißchen Gefahr soll ja gerade den Reiz von Safaris ausmachen, aber es hat keinen Sinn, nach Osteuropa zu reisen, bloß weil es der letzte Jagdgrund ist. Chip schlug vor, statt dessen nach Manhattan zu fahren, um bei Teufelsaustreibungen dabeizusein. Nach den Worten des Kardinals John O'Conner scheinen die Leute dort vom Teufel besessen zu sein, weil sie die Rockgruppe Black Sabbath gehört haben. Es gab mindestens schon zwei öffentliche Austreibungen.

Aber ich sagte: „Chip, laß uns etwas tun, das nicht im Trend liegt; wir haben bisher immer versucht mithalten. Vielleicht etwas wie Idaho oder Guam.“ Diese Orte sind bestimmt so exotisch wie Leipzig, und mit ihren neuen Gesetzen gegen die Abtreibung haben sie ganz eindeutig eine große Achtung vor Sicherheit und Leben demonstriert, nicht wahr? Also, vielleicht nicht für das Leben der Frauen, aber trotzdem sind es doch sicherere Urlaubstips, oder? Aus dem Amerikanischen

von Annette Schlichte