Vom TV-Spot zur totalen Kandidatenkonfusion

Im peruanischen Fernsehen ist die von Vargas Llosa für Sonntag angekündigte große Stunde der Freiheit schon angebrochen: Niemals zuvor, so erinnern sich professionelle Beobachter, haben Kandidaten, die es sich finanziell leisten können, in diesem Ausmaß vom Medium TV Gebrauch gemacht. Die „message“ wird in Kurzspots von 30 bis 60 Sekunden unters Volk gestreut, wie es gerade kommt: zwischen den Nachrichten, eingerahmt von Seifenwerbung oder auch mal als „cool-down“ mitten in einer der herzzerreißenden Liebesschnulzen, genannt Telenovelas, die den Großteil des Programms füllen.

Da wirbt zum Beispiel ein gewisser Alberto Massa, dessen Leibesfülle fast den ganzen Bildschirm einnimmt, kurz und knapp damit, er sei ein Abgeordneter „mit Gewicht“. Sein Kollege Torres Vallejo von Vargas Llosas Wahlbündnis „Fredemo“ hält statt dessen eine melodramatische Grabrede auf den Zustand der Nation und läßt via Friedenstaube mitteilen, daß er auf dem Wahlzettel die Nummer 21 ist.

Mario Vargas Llosa zeigt sich im Taumel der Massen und wird im nächsten Moment von einem überdimensionalen, zum Schrei verzerrten Mund der Konkurrenz von der Noch-Regierungspartei „Apra“ zum Schweigen gebracht, die mitteilt, das Treppchen -Symbol von Fredemo sei nur zum Aufstieg der Reichen da.

Heerscharen von Kandidaten aus dem Mittelfeld bedienen ihre Spezialklientel, die Jugend, die Rentner, die Fischer... Und diejenigen, die für Recht und Ordnung sorgen wollen, machen mit Krimiszenen auf sich aufmerksam. Auch die Symbole der unabhängigen Wählerlisten lassen an Symbolik nicht zu wünschen übrig: Besen und Glühbirnen im Land der Stromausfälle und der streikenden Müllabfuhr.

Fast 20.000 solcher TV-Spots sind seit Beginn der Wahlkampagne unters Publikum gebracht worden, davon mehr als die Hälfte von der Fredemo. Mehr als 2.500 mal war Vargas Llosa selbst zu sehen, die eifrigsten seiner Abgeordneten brachten es auf gut 600 kommerzielle Auftritte. Nur die Linke kam - mangels Finanzkraft - nicht in die Versuchung, ihre Politiker wie Waschmittel anzupreisen.

Eine Minute TV-Sendezeit kostet 1.100 Dollar, in Peru immerhin das Jahresgehalt eines Lehrers. Allein die Kampagne von Fredemo, die zeitweilig fast 50 Prozent der Sendezeit mit ihren Kandidaten bestritt, kostete sechseinhalb Millionen Dollar.

Eine Investition, die sich als Eigentor erwies. Während die Meinungsforschungsinstitute eine neue Rubrik (Welches ist der beliebteste Kandidatenspot?) entdeckt haben, hat sich das Publikum längst angewidert abgewendet, und selbst die radikalsten Vertreter der Meinungsfreiheit danken dem Gesetzgeber dafür, daß in den letzten beiden Tagen vor den Wahlen alle Propaganda verboten wurde.

Vargas Llosa, dessen Sieg in der ersten Wahlrunde mit absoluter Mehrheit am Anfang des Jahres noch sicher schien, ist in den letzten Wochen auf 43 Prozent abgesunken.

Die grenzenlose Konkurrenz der Kandidaten wird durch das peruanische Wahlsystem gefördert, das sowohl für den Senat als auch für das Abgeordnetenhaus Direktwahl per sogenannter Nummer vorsieht. So müssen sich die 960 Kandidaten für die 60 Senatssitze ebenso wie die 2.500 Kandidaten der 250 Wahllisten für das Abgeordnetenhaus alle einzeln ihren Wählern in Erinnerung rufen. Dementsprechend versuchen die Kandidaten, jeder für sich mit möglichst originellen Themen anzutreten, anstatt die Hauptargumente ihrer Partei zu verteidigen. Inhaltliche Konfusion ist die Folge.

Aus Angst, daß seine - doch so eingängige - Botschaft von der Freiheit verloren geht, hat Vargas Llosa deshalb am Montag alle Fredemo-Kandidaten angewiesen, ihre persönliche TV-Werbung einzustellen. Ohne Erfolg: just die Kandidaten mit begrenzten Ressourcen reklamierten, sie hätten ihre wenigen Spots bis zum Schluß aufgehoben, und die taz zählte in einer einzigen Stunde Sendezeit nach dem Aufruf 28 Wahlspots, davon 14 von Fredemo. Eine Parlamentskommission soll nun klären, woher das viele Geld dafür gekommen ist.

Nina Boschmann