Der Ball ist nicht rund

■ Die Sportkolumne von Hagen Boßdorf

Die erste Medaillenrechnung, in der die Ausbeute der beiden deutschen Staaten bei den letzten Olympischen Spielen addiert wurde, erschien in Großbritannien. Drei Tage nach Öffnung der Mauer. Das muß ein Zufall sein, dachte ich. Oder unsere Sportführer waren in ihren Startblöcken sitzend eingeschlafen. Denn so eine Zahlenspielerei hätte doch haargenau in die Planspiele unserer Sportstrategen gepaßt.

Der Sport rast und spurtet und spielt und segelt auf Einheitskurs. Die Fußballnationalmannschaft ist genauso dabei (blöde, einheitsfeindliche EM-Auslosung) wie die Kreisklassenkicker von Traktor Pusemuckel. DTSB der DDR und DSB der BRD trafen sich vorige Woche und entschieden im feinen Anzug, wie und wo und vor allem wie schnell sich die Trainingsanzüge aus Ost und West nun entgegenlaufen dürfen. Aus diesem sportlichen Vereinigungsgeplänkel ragen für mich einige Ausnahmen heraus. Bei ihnen wächst wirklich zusammen, was auch zusammen gehört.

Zum Beispiel war Leipzig in den 50er Jahren die Rugby -Hochburg der DDR. Acht Teams spielten in der Spitze mit, von Lok Waren bis zur DHfK. Es gab sogar eine akademische Trainerausbildung für die ruppigen Rasenbolzer. Um noch besser zu werden, mußte man sich in dieser Sportart im Westen umsehen. Enge Kontakte zu den Teams aus der BRD waren völlig logisch. Die Leipziger fühlten sich vor allem mit Braunschweig und Hannover verbunden. 1959 gab es sogar den einzigen deutschen Supercup im Rugby zwischen dem RC Hannover und der DHfK (14 : 13). Das letzte Spiel war für den 1. August 1961 geplant. Aber da warf die Mauer schon ihre Schatten voraus. Es setzte Funkstille ein.

Nur die Kontakte der Spieler schliefen nicht ein. Jedes Jahr zur Messezeit erhielten die Leipziger Rauhbeine Besuch von ihren Braunschweiger Kollegen. Nur so zum Quatschen. 1986 wollte man schließlllich doch ein Spielchen wagen. Ein illegales, nur so zur Freude. Die Sache flog auf. Der pfiffige DDR-Zoll fand an der Grenze die Spielkleidung der Braunschweiger und nach ein wenig mehr Schnüffeln auch die Einladung der Leipziger. Die Autos durften passieren. Aber vier Stunden vor Spielbeginn erhielt die gastgebende BSG Gastronom einen Anruf ihres BSG-Leiters: Wenn das Spiel stattfindet, wird die Mannschaft aufgelöst. Also Abpfiff vor dem Anpfiff.

Am Sonnabend wurde nun alles nachgeholt. Auf dem Rasen jagten sich die aktuellen Rugby-Raufbolde aus Leipzig und Braunschweig. Und am Spielfeldrand feierten die Veteranen der Vor-Mauer-Zeit ein bewegendes Wiedersehen. Das nenne ich einen geordneten und erstrebenswerten Vereinigungsprozeß. Da ist zwar nicht der Ball, aber die Sache rund.