„...ist ja nichts Schlimmes.“

■ Ein ungekürzter Beitrag zur Logik der Sicherheit: Werbung und Wurscht / Die Vorteile des Hartgummis / Der Wasserwerfer als staatliches Organ / Der Schrei der Geheimen nach Öffentlichkeitsarbeit

Fast könnte man es für ein deutsches Phänomen halten, obwohl es eher schon deutsch ist, all das für ein deutsches Phänomen zu halten. Da spricht Steffen S., ein ehemaliger Mitarbeiter des nun nicht mehr existenten Ministeriums für Staatssicherheit. Seine Rede ist ungelenk, die Verwirrung ist ihm anzumerken. Aber tief geht sie nicht. Die Sprache, das Denken bewegen sich weiter im Raster der machttechnischen Borniertheiten. Doch der Mann ist verraten von Vater Staat und Mutter Sicherheit. Mit Verrat bestraft, weil er geglaubt hat. Geglaubt, daß Staat und Gesellschaft in eins gehören, geglaubt, daß Fehler der Führung nur kurzfristige Irritationen seien in einem sonst der Vollendung anheimgefallenen System. In der Frage „Warum tut man nichts?“ kreist das Unverständnis über den verschütteten, aber längst nicht abgetragenen Fundamenten des staatssozialistischen Entwicklungsoptimismus. Diesem wollte er Diener sein, der krude Rest gehörte verdrängt.

Der da redet, ist nicht so exotisch, wie es scheint. Der desinformierte, abgefütterte, isolierte und darum hörige Beamte, der Flüchtling aus der Freiheit in die „Organe“, „Dienste“ und „Verwaltungen“, wo menschlichen Beziehungen auf die Zweckzusammenhänge der Staatsräson zugeschnitten werden, ist lange nicht tot mit dem Ende dieses Staates. Aber er ist hier erzeugt worden, und vielleicht bemißt sich „Schuld“ an dem, was die Täter wirklich wissen konnten von bürgerlichen Freiheiten und den Grundbedingungen einer modernen, nach Gerechtigkeit ausgehenden Welt.

(Nach einem Tonbandprotokoll).

„Ich bin 1963 geboren, also 26 Jahre alt. 10 Jahre allgemeinbildende Oberschule, dann 2 Jahre Baufacharbeiter, vorzeitig abgeschlossen, 3 Jahre Wachregiment. Das Wachregiment Berlin war das Wachregiment des MfS. Das weiß jeder. Und ich wurde dort auf 3 Jahre UAZ (Unteroffizier auf Zeit) ausgebildet, Ich hatte schon die Zulassung für „Brückenbau“ in der Tasche, da wurde auf mich zugegangen auf Grund der Leistungen, 10. Klasse, erfolgreich ausgelernt, Berufsausbildung. Ich habe dann zugestimmt. Warum nicht, ist ja nichts Schlimmes...

Die Abteilung, der ich dann angehörte, Abteilung Kader und Schulung, setzte sich aus mehreren zusammen: Werbung, Kader, Schulung. Die Hauptabteilung setzte sich zusammen aus mehreren selbständigen Abteilungen: Kaderabteilung und Schulung. Kader bestand aus Werbung, Einstellung, Kaderveränderung und die Schulung bestand aus Hochschulen, Fachschulen und Militärschulen.

Unser Aufgabengebiet war, Mitarbeiter zu werben oder Reisekader zu bestätigen (Ermittlungen in Betrieben und Wohngebieten). Wenn von den Leuten gedacht wurde, wir wollen sie bespitzeln - das war uns Wurscht. Das war kein Thema. Bloß damit hat man viel herausbekommen. Man hat ja hauptsächlich in „sicheren“ Häusern geworben, nicht in Häusern, wo jede Menge Ausreiseanträge gestellt worden waren, sondern in ganz normalen Häusern bis hin zu Mitarbeiter- Häusern. Da konnte man sich verlassen, sicherheits- und intelligenzmäßig. Man hat auch viel mehr mitgekriegt, man hat ja mit Mitarbeitern gesprochen.

Bei Kader und Schulung war auch Disziplinar angegliedert, und die Hauptabteilung Untersuchung. Die Disziplinarkommission untersucht z. B. Gesetzesverstöße, die von Offizieren im Amt durchgeführt wurden, wie Diebstahl von Waffen (Spionage nicht, die hat die Abwehr selbst gemacht), Disziplinar hat eben die kleineren Sachen gemacht. Das war intern, die Polizei der Staatssicherheit gewissermaßen. Weil keiner vom anderen wußte, konnte ja jeder machen, was er will. Es gab ja viele - ist ja kein Geheimnis - hochbezahlte Kader. Was sollten die mit dem Geld machen? Haben sie angefangen, Dummheiten zu machen. Spekulation mit Autos, dann Wohnungschieberei aus'm MfS-Kontigent. Solche Sachen waren nicht in Ordnung. Disziplinar hat versucht, das einzugrenzen und hat's auch geschafft. Das Prinzip war immer so: Niemand hat vom anderen gewußt. Zum Beispiel, die Hauptabteilung 8, das ist Beobachtung, hat zwar beobachtet, hat aber nichts daraus geschlossen. hat.

Jetzt wird z.B. gefordert: Wir wollen Öffentlichkeit, wer waren die Mitarbeiter? Wir haben uns immer gefragt, warum sagt denn keiner, woran gearbeitet wird. Dann hätte man gesehen, das MfS be

stand nicht nur aus Bespitzeln. Es gab ja auch ein MfS, daß sich mit Kaderarbeit beschäftigt hat, wo ich ja selber herkomme, das täglich Voraussetzungen schafft für die Sicherheit in der Produktion.

Selbst das Hotel Metropol war ein komplettes MfS-Objekt. Das weiß keiner, weil das nicht veröffentlicht wurde. Aber wenn man mal die Kellner fragt, die waren beim MfS angestellt. Aber das ist Diplomatenschutz, das ist einfach erforderlich. Man kann ein Hotel, wo Diplomaten absteigen nicht als kommerzielles Objekt gelten lassen. Die gibt's genug. Es muß auch Objekte geben, die sicher sind, in sich. Deswegen wird das gemacht, aber diese Seiten des MfS werden nie aufgedeckt. Wir haben wirklich im Interesse der Leute gearbeitet.

Beispiel Oktoberereignisse. Es heißt, die Leute durften nicht mal alleine auf Toilette gehen. Wenn man einen Beschuldigten hat, darf ihm in Polizeigewahrsam nichts passieren, darf er kein Diebesgut verstecken können, Beweismaterial - also wird die Türe offengelassen. das ist Polizeitaktik. Das ist zur Absicherung der Polizei. Das wissen die Leute nicht, so kommt Anarchie auf. Das Vorgehen auf Toiletten, Stellen an die Wand usw.- das sind alles Vorschriften im Interesse der Verhafteten und im Interesse derjenigen, die die Verhafteten beaufsichtigen, damit sowas nicht vorkommt wie Schlagen.

Für mich ist jetzt das Chaos, nicht weil sich jeder Gedanken macht, sonden weil vorschnelle Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich nicht durchdacht sind. Langjährige Gesetze, erfahrene, erprobte Gesetze, werden außer Kraft gesetzt, ohne was Neues zu schaffen. Ich habe nichts dagegegn, daß die Leute auf die Straße gehen, von mir aus sollen sie jeden Tag etwas fordern. Aber die Regierung darf sich darauf nicht einlassen, bloß weil da Zehntausende auf der Straße sind. Das geht nicht.

Wenn ich mir vorstelle, daß die Polizisten, die da draußen waren, auch mit Steinen beworfen worden sind, daß Polizistinnen bedroht wurden usw., dann kriege ich einen Rochus. Es ist klar, wenn ich dann losgelassen worde wäre, dann hätte ich auch nicht gefragt. Jeden, der gekommen wäre, und wo ich einen Auftrag gehabt hätte, hätte ich zugeführt. Ich wäre nicht human gewesen, ich hätte den gesetzlichen Rahmen voll ausgenutzt, also Handschellen (die nicht sein müssen, aber gesetzlich zulässig sind), alles mögliche...

Man kann nicht sagen, die Polizei - der „böse Mann“, wenn man die Polizei herausfordert. Es wurden z.B. Pflastersteine geschmissen in Leipzig, es wurde vor allem psychischer Terror ausgeübt auf die Polizei. Frauen mit Kindern auf dem Arm wurden vorgeschickt. Nach Schußwaffengebrauchsanordnung ist Anwendung auf Frauen und Kinder verboten.

Gewaltanwendung gegen Frauen ist verboten, da kann man

nichts machen, also hält man sich zurück. Jetzt muß der Polizist sich die Steine auf den Kopf fallen lassen, das Schild, das nutzt ihm nichts. In seltenen Fällen hat man ein Schild, man hat eine Uniform, Schlaghilfe. Schlagmittel darf er nicht einsetzen, da muß erst ein Befehl kommen.

Doch in so einer Situation da schlägt der Verstand nicht mehr durch.

Die Leute, die das durchführen mußten, wurden psychologisch vorbereitet. Sind ja keine Anfänger. Dann ist's ein Leichtes, diesen Befehl auszuführen. Man glaubt an die Sache. Man hat nichts gegen den Mann, der dort steht, man will ihm keine draufhauen. Man rollt das Plakat zusammen. Wenn der sich wehrt, wehr‘ ich mich auch. Dann gibt's ein Handgemenge.

Ich würde sagen, der 7. Oktober wäre anders verlaufen, wenn man sich auf moderne Taktik besonnen hätte, die an der Uni schon gelehrt wird.

Man muß besänftigen, anhören, mit den Massen reden.

Begonnen bei der Technik: Die Polizisten sind mit 9-mm -Pistolen ausgerüstet. Wissen Sie, welche Wunden die schlagen? Die Westberliner haben keine mehr 9-mm mehr. Bei uns gibt's keine Hartgummigeschosse, bei uns gibt's kein Tränengas, es gibt Schlagstöcke, die darf er aber nicht einsetzen. Wenn ein Schlagstock wegkommt, kann derjenige sich warmmachen. Ich stehe in der Polizeikette, jetzt kommt das Volk an. Was machen? Frauen und Kinder vorneweg. Zurückbleiben darf man nicht. Wir haben zwar Pistolen, die wenden wir sowieso nicht an, selbst wenn wir müßten, weil wir genau wissen, was da passiert. Anwendung von Schußwaffen ist das letzte Mittel. Oberflächenwunden schlagen mit Hartgummi oder Weichmacher...

Man kann auch einen Wasserwerfer hinstellen, ist ja nichts Schlimmes. Der ist aber ohne Wasserfüllung. Das ist ein staatliches Organ, dem darf nichts getan werden. Wenn sie sich daran vergreifen, oder ein Gebäude stürmen, dann kann ich auch den Wasserwerfer einsetzen. Aber man kann nicht sagen als Bürger: Da steht der Wasserwerfer, ich fühl mich bedroht, also stürme ich das Tor. Das geht nicht. Das ist verständlich, aber ungesetzlich. Daß man da nichts macht?

Aber man hat kein Recht, den Leuten eins draufzuhauen. Sobald es aber eskaliert, hat jeder Staat das Recht einzugreifen.

Am Tag der Demo in der Normannenstraße waren 30 Polizeikräfte zur Absicherung des gesamten Objektes eingesetzt. Das war lächerlich. Da ist keine Polizeitaktik angewandt worden. Man stellt ein paar Leute hin... Man hätte das Tor schon vorher öffnen können. Was aber wirklich verwerflich war: Stürmung des Sozialtraktes, 2 Speisesäle, 1 Großküche, 1 Lager, 1 Frisiersalon, 1 Reisestelle, 1 Buchhandlung, 1 Kaufhalle.

Wir waren ganz schön auf Widerstand eingerichtet, vom Wachregiment speziell. Ich war ja drei Jahre dort. Es gab genug Möglichkeiten, aber sie wurden nicht angewendet. Das beweist, daß wir keine Securitate waren.

Andererseits: Im MfS sind zivilisierte Leute gewesen. Die wenigsten konnten mit Waffen umgehen, die wenigsten haben in repressiven Organen gearbeitet. Es gab viel mehr, was zu tun war. Staatsschutz, Spionage, Sicherheitstechniken wie integrierte Sicherheit. Von vornherein schon Sicherheit aufbauend, nicht im Nachhinein aufklären.

Man hätte vorher offenlegen sollen, was das MfS gemacht hat. Wie weit sind sie gekommen mit der Offenlegung! Es gab eine Pressestelle im MfS, die ist nie in Erscheinung getreten. Ich glaube, das MfS hätte sich besser „verkaufen“ müssen, immer wieder offenlegen müssen.

Dann gab's einige Umstände, die wirklich nicht in Ordnung waren, wie z.B.: Hauptabteilungsleiter hatten vier Pkw zur Verfügung, dann gab's in der Orankestraße einen Laden für Führungskader. War zwar Diskussionspunkt unter den Kollegen, aber es konnte niemand was dagegen tun. Manche haben sich geschämt, dort einzukaufen.

Man muß wirklich skrupellos sein - das ist das falsche Wort - unvoreingenommen muß man sein.

Man wußte ja, daß die Wirtschaft nicht ganz hinhaut, aber hat sich keine großen Sorgen gemacht. Man hat ja einen Beruf, meine Frau hat ganz ordentlich verdient, kann ich ruhig sagen. Man hat sich keine Gedanken gemacht. Dann kam das mit der Krise. Was soll das? Das kann nicht sein? Warum tut man nichts dagegen?! Wenn das nicht in Ordnung ist, warum tut man nichts dagegen?

Ich kenn die Bohley nicht. Ich habe diesen Vorgang nicht bearbeitet. Aber man hört ja so einiges: Die hatte wirklich Verbindung zum Westen, richtig und so. Man erhielt nur „graue“ informationen, so Gerüchte.

Ich kann mich in sie nicht reinversetzen, weil ich über sie nichts weiß. Bloß die Leute sind ja damals im Januar '88 freiwillig zur Luxemburg-Demo gegangen und haben dieses Banner aufgerollt, eine spektakuläre Aktion gemacht, ohne dafür den Boden vorzubereiten.

Im Endeffekt war es doch so: Demonstranten mit Plakaten, die nicht hingehörten, wurden abgedeckt und das haben wir als Fakt so genommen. Die Ordnung und Sicherheit, die für uns stand, die mußte gewährleistet werden. Da gab's keine Fragen. Inwieweit die Demonstranten ins Ausland verschickt wurden, Studienaufenthalt, Bohley und so, - da würde ich mich nicht festlegen wollen.

Aber Demonstranten wurden nicht eingeknastet. Das ist falsch. Sie wurden für 24 Stunden vorläufig festgenommen. Unsere Zeitungen haben „Einknasten“ daraus gemacht. Nach 24 Stunden waren die wieder auf freiem Fuß - soweit ich weiß.

Das wurde auch vom MfS nie öffentlich gesagt. Im Oktober, als das alles hochkam, haben wir uns gefragt, warum sagt das MfS nicht mal, wie es wirklich war...“