Nüchtern und trotzdem fröhlich?

■ Anonyme Alkoholiker trafen sich am Wochenende in Oldenburg / Vom Überleben zur Lebensfreude

Sie bezeichnen sich untereinander als Freunde, und sie gehen auch so miteinander um. Fast 6 000 Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder, die am Wochenende zum deutschsprachigen Ländertreffen der Anonymen Alkoholiker (AA) nach Oldenburg gekommen waren, lebten das Motto des Mammuttreffens: „Lebensfreunde in Nüchternheit.“ „Zwischen so vielen verrückten Trockenen bin ich richtig,“ sagt ein junger Mann. Sein blaues Namensschild mit Vornamen und Wohnort weist ihn als Alkoholiker aus. Rote Schilder tragen die Angehörigen von Alkoholikern, grüne die Jugendlichen und Kinder.

Die Wortmeldung des jungen Mannes fällt auf dem „Meeting“ der US-amerikanische Ursprung der AA hat ihre Sprache geprägt - zum Thema: „Wie gehe ich mit meiner Angst um?“ Niemand hält ein Referat, weder hier noch bei den gut zwei Dutzend anderen Meetings. Wer will, kann sich äußern. Kein Experte kommentiert das Gesagte. Dafür wird alles mit freundlichem, zumindest verständnisvollem Beifall aufgenommen.

Alle Gesprächsthemen der meist brechend vollen Meetings in der Weser-Ems-Halle und einem benachbarten Schulzentrum kreisen - ob es um Sexualität, Emotionen oder Arbeitswelt geht - um das eine Thema: Wie kann ein Alkoholiker, der seine Krankheit begriffen und in den Griff bekommen hat, in Würde und Selbstachtung leben? Die starke Anbindung an ihre Gruppe - allein in der Bundesrepublik über 2 000 - gibt den Anonymen Alkoholikern den wichtigen Halt. Das Verbindende einer gemeinsam durchschrittenen Hölle, Rückschläge eingeschlossen, hilft, nicht nur zu überleben.

Der große Schritt vom Überleben zur Lebensfreude beherrschte das generalstabsmäßig

organisierte deutschsprachige Ländertreffen, an dem darüberhinaus so gut wie alle Sprachen Europas zu hören waren. Überall in den Fluren, Foyers und Cafeterien gab es fröhliche Gesprächsrunden. Der Kaffee floß Tag und Nacht hektoliterweise. Die auch auf exotische Teearten vorbereitete Hallen-Gastronomie konkurrierte mit dem Vertrieb von Selbstgebackenem gleich nebenan.

Eine Antwort auf diese ungewöhnliche Harmonie fand der Außenstehende auf dem kurzen Weg zwischen den beiden Veranstaltungszentren. Hier hatten drei Freunde aus Oberösterreich ihren Kofferladen aufgemacht. Da

wurden neben anderen Devotionalien mit AA-Bezug Feuerzeuge angeboten. Darauf ist der auch außerhalb von AA-Kreisen viel zitierte Spruch abgedruckt: „Gott gebe mir die Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. Auf der Rückseite erfährt der Käufer, an wen er sich wenden kann, „wenn Sie mit dem Trinken aufhören wollen“. In den AA-Informationen für die Öffentlichkeit heißt es dazu: „Unser Hauptzweck ist, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen.“ Karin Güthlein/dp