„Ich hätte Informatik studieren sollen“

■ Frieder Nake, Bremer Professor für Informatik mit dem Schwerpunkt Programmier- und Dialogsprachen, erinnert sich an einen Wunsch Sohn-Rethels

Letztes Jahr im Frühling wollte Alfred Sohn-Rethel über die Besonderheiten der Informationstechnik mit mir sprechen. Er arbeitete an seinem großen Werk. Es mußte auf die neuesten Entwicklungen der Informationstechnik eingehen. Aber Sohn -Rethel war unzufrieden mit seinem Urteil: „Vor 20 Jahren, als ich nach Bremen kam“, meinte er, „hätte ich Informatik studieren können. Ich dachte, ich brauchte das nicht mehr zu tun auf meine alten Tage. Heute bedaure ich das.“ Sohn -Rethel war 90 als er das sagte.

Die Einheit und der Widerspruch von geistiger und körperlicher Arbeit, wie Sohn-Rethel sie zu seinem Thema gemacht hatte, beeinflußten Anfangs der 70er Jahre mein Denken und das meiner Studenten heftig und nachhaltig.

Seine Analyse der naturwissenschaftlichen Abstraktionsvorgänge und Begriffsbildungen gab uns die Möglichkeite, Naturwissenschaft politisch zu sehen. Die Abhängigkeit der Naturwissenschaft und der Technik von den gesellschaftlichen Verhältnissen war beweisbar geworden.

Die Informatik steckte Anfang der 70er Jahre noch in ihren disziplinären Kinderschuhen. Von Sohn-Rethel inspiriert, erkannten wir die Maschinisierung von Kopfarbeit als den Gegenstand der Informatik.

Diese Auffassung grenzt sich deutlich von den vorherrschenden fachimmanenten ab, indem sie eine historische und gesellschaftliche Dimension gewinnt. Sie erhält heute mehr Zuspruch als vor 15 Jahren.

Frieder Nake