SPD-Kandidat für „rot-grünes“ Ost-Berlin

■ Tino Schwierzina (62), am Wochenende zum Spitzenkandidaten der Ostberliner SPD gewählt, über mögliche Regierungskonstellationen nach dem 6.Mai / Der Sozialdemokrat hofft auf die Stimmen ehemaliger PDS-WählerInnen

taz: Wie wollen Sie denn eigentlich Oberbürgermeister werden, Herr Schwierzina?

Schwierzina: Ganz einfach: Indem am 6.Mai eine große Mehrheit der Bevölkerung SPD wählt.

Die SPD ist in Ost-Berlin bei den Volkskammerwahlen mit 35 Prozent zwar stärkste Partei geworden - da fehlen aber immer noch satte 15 zum Glück. Wo sollen die herkommen?

Wir müssen uns den PDS-Wählern zuwenden. Denen müssen wir klarmachen, daß sie ihre Wahlentscheidung zu unseren Gunsten korrigieren müssen.

Die PDS ist in Ost-Berlin mit 30 Prozent zweitstärkste Partei geworden. Warum war das so, und wie wollen Sie die davon überzeugen, daß ihre Interessen bei der SPD viel besser aufgehoben sind?

Berlin war eine Hochburg aus Verwaltung und Staatssicherheit. Diese Leute wohnen noch hier. Und wenn sich auch die SED einen neuen Namen gegeben hat, sind diese Wähler noch immer in der alten Ideologie verhaftet. Diese Leute haben PDS gewählt, weil sie glauben, daß die ihre Interessen am besten vertreten; zum Beispiel sichere Renten. Das ist das eine. Zum anderen haben erstaunlich viele junge Leute PDS gewählt, aus welchen Gründen auch immer: ob aus einer Oppositionshaltung heraus oder um uns gleich beim ersten Mal einen Denkzettel zu verpassen. Da müssen wir aufklärend wirken.

Ich kenne mehrere Leute, die vor einem Jahr noch Opposition gegen den SED-Staat gemacht, am 18.März aber PDS gewählt haben. Die wollen sich bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht überfahren lassen und trauen der PDS offenbar mehr als der SPD zu, für die soziale Sicherheit zu sorgen. Wenn die landesweite SPD der DDR nun in eine Koalition mit der CDU und dem Rechtsausleger DSU einsteigt, werden Ihre Möglichkeiten, diese jungen Leute für die SPD zu gewinnen, nicht geringer, als das ohnehin schon der Fall ist?

Der Bezirksvorstand Berlin der Sozialdemokraten lehnt eine Beteiligung an dieser Koalition ab. Wir interpretieren den Wählerauftrag vom 18. März als Auftrag, in die Opposition zu gehen. Das ist auch Beschlußlage unseres Bezirksparteirats. Und wir werden unseren Wählern natürlich sagen, was die Berliner Sozialdemokraten zu diesem Thema meinen.

Es gibt also einen klaren Dissens zwischen Berliner SPD und Landes-SPD in dieser Frage?

Ja, den gibt es. Aber wir müssen natürlich mit dem leben, was unsere Volkskammer-Fraktion dazu beschließt. Wir sind der Auffassung, daß das kein imperatives Mandat ist.

Das klingt mir jetzt aber ein bißchen zu sehr nach der Politikerhaltung „Einerseits - andererseits“.

Nein, gar nicht. Wir haben dazu unsere Position in Berlin. Aber wir haben doch kein Weisungsrecht, was die Abgeordneten der Volkskammer angeht.

Kommen wir mal zurück auf die fehlenden 15 Prozent. Wenn die SPD keine absolute Mehrheit schafft - von wem würden Sie sich denn gerne mitwählen lassen?

Ich fände es schön, wenn es das Bündnis 90 schaffen könnte, mit uns in eine Regierung zu kommen. Das sind Freunde von uns, deren Auffassung wir akzeptieren und teilen können. Die haben viel bewegt und bis heute noch kein Ergebnis bekommen, was sie verdient hätten.

Mit wem wollen Sie nicht koalieren?

Wir werden nicht mit der PDS koalieren. Niemals.

Was ist mit der Allianz?

Jeder ist gut beraten, den Wahlabend abzuwarten und zu gucken, wer was eingefahren hat.

Sie schließen eine große Koalition also nicht aus?

Es wäre töricht, das auszuschließen. Die normative Kraft des Faktischen kann uns zu Dingen bringen, an die wir noch gar nicht denken.

Ihr Wunsch nach einem starken Bündnis 90 klingt ein bißchen nach einer rot-grünen Koalition a la Ost-Berlin. Ein rot-grünes Groß-Berlin im schwarzen Meer DDR?

Warum nicht, was Berlin angeht.

Damit können Sie sich eher anfreunden als mit einer großen Koalition in Ost-Berlin, die ja zweifelsohne eine Rückwirkung auf die politische Regierungskonstellation in West-Berlin haben könnte?

So ist es. Wenn wir einen gemeinsamen Wahlkampf führen also Westberliner SPD mit der Ostberliner SPD - dann sind ja beide Interessenslagen zu berücksichtigen. Es gibt die Chance für eine sozialdemokratisch geführte Regierung für Groß-Berlin.

In welchen zeitlichen Vorstellungen denken Sie sich denn das politische und verwaltungstechnische Zusammenwachsen der beiden Berliner Stadthälften?

Das ist eine mittelfristige Sache von zwei bis drei Jahren. Etwas muß sofort funktionieren: Am 7.Mai muß die Milch da sein, die Stadtreinigung muß funktionieren: Was zum Leben notwendig ist, muß in Ost-Berlin vorhanden sein und bezahlt werden können. Als erstes muß ein Kassensturz gemacht werden. Der finanzielle Status dieser Stadt muß dargelegt werden. Das muß sofort laufen. Darüber hinaus brauchen wir eine Geschäftsordnung für die Stadtverordnetenversammlung. Wir brauchen eine neue Verfassung für Ost-Berlin auf der Basis von 1948. Wir müssen unsere Verwaltung reformieren. Das steht alles an.

Berlin entwickelt sich zu einer Metropole, in der das Armutsgefälle so groß sein wird wie in keiner anderen deutschen Stadt. An der Spitze sitzen die Westberliner, dann kommen die Ostberliner, schließlich polnische Bürger. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

Dieses Armutsgefälle kann man nicht durch Kommunalpolitik beseitigen. Das ist ein Ergebnis der 40jährigen Teilung unseres Vaterlandes. Es wird selbstverständlich eine Benachteiligung unseres Teils der Stadt geben, weil wir einfach von der Potenz her weniger zu bieten haben als West -Berlin. Trotzdem werden wir unseren Beitrag zur Metropole Berlin liefern können. Auf kulturellem Gebiet sind wir durchaus konkurrenzfähig. Unsere Betriebe sind nicht so verlottert, wie sie immer dargestellt werden. Wir sind in der Lage, attraktives Bauland zu Verfügung zu stellen.

Ausverkauf?

Auf keinen Fall. Wir wollen unsere Flächen in kommunalem Besitz behalten. Natürlich wollen wir auch Industriebetriebe in Ost-Berlin ansiedeln, aber die können die notwendigen Flächen ja auch pachten. Wir haben also etwas einzubringen, wir müssen nur mit unserem Pfund richtig wuchern.

Nochmal zum Armutsgefälle: Befürchten Sie nicht, daß nach einem Umtausch von 2:1 viele qualifizierte Arbeitskräfte aus Ost-Berlin weglaufewn und in West-Berlin neue Jobs suchen? Das Krankenhauswesen bricht doch jetzt schon fast zusammen.

Ein Umtausch 2:1 wird von mir natürlich nicht akzeptiert...

Trotzdem kommt das wahrscheinlich.

Eine Zeitlang wird es das Armutsgefälle geben, das ist ja unbestritten. Wir brauchen deshalb sofort eine Mietpreisbindung für Ost-Berlin. Wenn frühere Besitzer ihre Altbauten zurückbekommen, die jetzt von der Kommune verwaltet werden, ist das unerläßlich. Aber es wäre töricht und vermessen, den Leuten Dinge zu versprechen, die wir dann nicht halten können.

Bei den Westberliner Krankenhäusern stehen jeden Tag Krankenschwestern und Pfleger aus Ost-Berlin auf der Matte, die sagen: „Guten Tag, kann ich hier arbeiten?„

Die Aufnahmefähigkeit Ihres Marktes für unsere Arbeitskräfte ist ja nicht unendlich groß. Da wird sich jeder überlegen, ob er in eine ungewisse Zukunft geht, was Wohnung usw. anbelangt. Der wird dann schon zu schätzen wissen, daß es einen gewissen sozialen Status bei uns gibt, der im Moment noch ein bißchen geringer ist als bei Ihnen, der aber mit Sicherheit wachsen wird.

In Berlin gibt's aber die Möglichkeit, im Osten billig zu wohnen und im Westen hartes Geld zu verdienen.

Das ist etwas, was beide Regierungen dieser Stadt zwingt, zu einem vernünftigen und tragbaren Konzept zu kommen. Da wird ein ganzer Katalog von Maßnahmen notwendig sein. Mit Verboten kriegt man das sicher nicht in den Griff. Aber erwarten Sie jetzt nicht von mir, daß ich Ihnen im einzelnen darlege, was wir da machen werden. Das Problem ist erkannt, und wir werden da was tun.

Das Interview führten Claus

Christian Malzahn und Walter Süß