Die Ästhetik des Handelns

■ Ein Besuch in der Fahrradwerkstatt im Mehringhof: Öl, Werkzeug und Nerven für die Radler aus der linken Szene / Ein Alternativprojekt hat Konjunktur

Bunte Graffiti und Politparolen leuchten an den Backsteinwänden des Hinterhofs. An verrosteten Geländern lehnen zwei Dutzend gebrauchte Räder im Regen, alle mit einem dicken Stahlseil abgeschlossen. Von einer Garageneinfahrt dringt Hämmern und Zischen von irgendwelchen Maschinen herüber.

Vor acht Jahren gründeten Peter und Alwin den Fahrradladen in der Souterrainwerkstatt im Mehringhof. „Unser Startkapital waren am Anfang etwa zehn kaputte Fahrräder. Wir haben da rund um die Uhr geackert, so 60 Stunden in der Woche. Wenn ich damals nicht in einem besetzten Haus gewohnt hätte, hätte ich mir das gar nicht leisten können“, erzählt Alwin.

„Wir sind ein Fahrradladen im handwerklichen Verständnis“, sagt Peter, der von Beruf Werkzeugmacher ist. „Wir machen hier alles rund ums Rad.“ Von ausgefallenen Ersatzteilen, Reparaturanleitungen, Neu- und Gebrauchträdern bis hin zu selbstentworfenen Sonderanfertigungen, sofern sie technisch realisierbar sind, gibt es hier alles. Samstags ist Selberschraubfete, da können Radliebhaber ihre alten Drahtesel auseinanderschrauben, reparieren und wieder zusammenbauen und so das technische Innenleben ihrer Räder erforschen. Die Idee dabei, so Gründungsmitglied Peter, ist „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu geben. Jeder kann kommen, wir stellen dann Werkzeug, Öl und außerdem unseren Rat und unsere Nerven zur Verfügung. Aber bei den Leuten ist da 'ne Menge autonomer Kraft nötig.“

Der Kollektivbetrieb läuft mittlerweile gut. Jedes Jahr wächst der Laden um gut ein Drittel. „Der Durchbruch kam, weil Alternativläden ein neues Qualitätsbewußtsein bei den Kunden geschaffen haben“, sagt Peter. Und die würden mittlerweile aus ganz Berlin in den Mehringhof kommen. „Hauptsächlich sind die aus dem Lager der selbstdenkenden Linken“, beschreibt Peter seine Kunden.

Neben mehr als 150 verschiedenen Modellen in allen Preisklassen führt der Laden auch Eigenkonstruktionen, die andernorts montiert werden. Bei den gebrauchten Rädern könne man sicher sein, verspricht Peter, daß sie technisch einwandfrei laufen würden - und garantiert nicht geklaut seien. Die individuelle Beratung ist ihm besonders wichtig. „Wir haben hier soviele verschiedene Räder, da muß jedes Modell einzeln verkauft werden. Das geht nicht serienmäßig“, erklärt Peter. „Beim Handel ist für mich 'ne gewisse Ästhetik drin. Er soll eigentlich eine soziale Funktion zwischen dem Kunden und der Fabrikation erfüllen. Daraus zieht der Handel seine Legitimation.“

Neben dem Handel hat Peter aber noch eine ganz andere Schwäche für Fahrräder. Er sammelt einfach alles, was ihm unter die Finger kommt. Da stehen zwischen blitzenden Alurähmen im Neontrend alte, unscheinbare Damenfahrräder der Firma Bauer. „Das sind alte Senatsbestandsräder“, erzählt Peter, „ein paar Tausend hat der Senat vierzig Jahre lang eingelagert, für den Fall, daß es mal wieder eine Blockade gibt. Vor zwei Jahren hat er aber dann eingesehen, daß inzwischen fast jeder Berliner ein eigenes Fahrrad besitzt, und wir haben die dann gekauft. Das sind jetzt unsere Leihräder.“ Neben den Blockaderädern lehnt ein antiquiertes, schwarzes Herrenrad an der Wand. Auf dem Emailschild an der Stange steht klein 'Polizei‘. In der Ecke gegenüber rostet ein Rennrad aus der Weimarer Zeit vor sich hin. Auf dem vorderen Schutzblech kündet die Figur eines springenden Leoparden von der unbezwingbaren Schnelligkeit von Urgroßvaters Rennrad.

Julia Schmidt