Eine Seniorenliga mit Legionären

Im bundesdeutschen Eishockey stehen betagte ausländische Stars den heimischen Talenten im Wege / Der Druck nach kurzfristigem Erfolg und häufige Trainerwechsel behindern eine gezielte Nachwuchsarbeit / Besserung ist nicht in Sicht  ■  Von Peter Mohr

Daß im Eishockey auch jenseits der Bande mit harten Bandagen gearbeitet wird, gehört - seit das große Geld im Spiel ist zum normalen Umgang. Die Spitzenclubs sind Wirtschaftsunternehmen geworden, die ihr Produkt Sport mit allen Mitteln an Mann und Frau zu bringen versuchen. Der Existenzkampf ist knallhart, da die Vereine das gesteckte Ziel ihrer Geldgeber um jeden Preis erreichen wollen.

Um den Zuschauern ein möglichst attraktives Team bieten zu können, greifen die meisten Clubs auf teure „Legionäre“ zurück, die, nicht selten unter Umgehung der Ausländerbestimmungen des DEB, in Windeseile - deutsche Uroma hier, deutscher Uropa dort - naturalisiert werden. Wen wundert es da noch, daß alljährlich zur Weltmeisterschaft das gleiche Lied angestimmt wird: Uns fehlt der Nachwuchs. Auch für die an Ostern in Bern und Fribourg beginnenden diesjährigen Titelkämpfe ist keine Besserung in Sicht.

Das bundesdeutsche Eishockey befindet sich in einem Teufelskreis: Kein Verein kann es sich heute leisten, langfristig zu planen. Der Leistungsdruck ist derart groß, daß die Vereine auf dem Transfermarkt fast ausschließlich nach fertigen Spielern Ausschau halten. Experimente können Kopf und Kragen kosten; ein Abstieg - verbunden mit der Einbuße des sechsstelligen TV-Honorars - käme dem Ruin gleich.

Unübersehbar ist seit einigen Jahren der Trend zu den zusammengekauften Teams in den Großstädten. Auf der Strecke geblieben sind die Traditionsclubs in der Provinz, die jahrelang durch qualifizierte Nachwuchsarbeit das Nationalteam mit Spielern fütterten. Der EC Bad Tölz (Meister von 1962 und 1966) kämpft in der zweiten Liga gegen den Abstieg. In der Bedeutungslosigkeit des Unterhauses sind auch der EV Füssen (15facher Meister) und der SC Riessersee (neunmaliger Meister, zuletzt 1981) verschwunden. Derzeit sieht es zwar so aus, als ob mit dem ESV Kaufbeuren ein Traditionsclub vom Land die Rückkehr ins Oberhaus schaffen könnte, doch der Leidtragende in diesem Falle wäre der EV Landshut, der noch vor sechs Jahren den Titel errang.

Die Niederbayern, die seit Jahren für ihre engagierte Jugendarbeit bekannt sind, mußten schon vor der noch laufenden Saison (Abstiegsrunde) einen großen personellen Aderlaß verkraften. Erich Kühnhackl wechselte von den Kufen als Trainerassistent an die Bande, und leistungsstarke Spieler Tom O'Reagan (Preußen Berlin), Bernd Truntschka (Düsseldorf) und Jiri Poner (Köln) erlagen den lukrativen finanziellen Offerten der Clubs aus den Metropolen. Die Landshuter machten aus der Not eine Tugend und komplettierten ihren Kader durch Talente aus dem eigenen Nachwuchs. Immerhin vierzehn der dreiundzwanzig Landshuter Spieler stammen aus den eigenen Reihen - ein Novum im bezahlten bundesdeutschen Eishockey. Doch der Abstieg droht.

Alle anderen Clubs setzen andere Akzente, vernachlässigen die Nachwuchsarbeit geradezu sträflich und setzen den wenigen Talenten dann noch die hochbezahlten ausländischen Stars vor die Nase. Die in schöner Regelmäßigkeit intonierte Klage über den fehlenden Nachwuchs mutet in diesem Zusammenhang grotesk an. Wo soll der Nachwuchs für die Nationalmannschaft herkommen, wenn ihm das Betätigungsfeld Bundesliga kaum zugänglich ist?

Noch gibt es keine Anzeichen dafür, daß die Clubs ihre Strategie ändern werden, zumal die Legionäre - trotz ihres Alters - zu den Besten ihrer Teams zählen: Silk (32), Panek (35) und O'Reagan (28) in Berlin; Lee (34) und Valentine (28) in Düsseldorf; Fous (37), Mucha (33), Mokros (32) und Lala (31) in Frankfurt; Crha (39), Chalupa (36), Frycer (31) und Dolak (37) in Freiburg; Berry (32) und Thornbury (27) in Köln; Messier (32) und Nienhuis (28) in Mannheim; Denisiuc (29), Berry (29), Zaborowski (27) und Derkatch (25) in München; Pouzar (38) und Sherven (26) bei Titelverteidiger Rosenheim; und Hardy (27), Zajic (31), Hannan (27) und Schreiber (27) in Schwenningen.

Nicht besser steht es mit der Altersstruktur der meisten Bundesligateams. Am augenfälligsten ist die Überalterung bei der Frankfurter Eintracht, die zehn Spieler auf der Gehaltsliste hat, die jenseits der dreißig sind. Daß jedoch auch der Nachwuchs zu großen Leistungen fähig ist, bewies der gerade 18jährige Klaus Dalpiaz vom SV Rosenheim, der wochenlang als Vertreter des verletzten Karl Friesen im Tor des Meisters glänzende Kritiken erhielt und nun von vielen Clubs umworben wird. Ohne Friesens Verletzung hätte Dalpiaz wahrscheinlich bis heute noch keine Kostprobe seines Leistungsvermögens geben können.

Unter diesen Voraussetzungen dürfte es in Zukunft schwer werden, das Nationalteam schlagkräftig zu besetzen. Die Zeit der großen personellen Zäsur ist nicht mehr fern. Kapitän Udo Kießling vom KEC wird nach der WM 35, und auch Spieler wie Gerd Truntschka, Harold Kreis, Helmut Steiger und Ron Fischer haben die dreißig bereits überschritten. Wer künftig deren Nachfolge antritt, steht noch in den Sternen. Obwohl die Clubmanager wissen, daß bei einer langfristigen Krise der Nationalmannschaft die Gelder der Sponsoren spärlicher fließen werden, will niemand eine Vorreiterrolle übernehmen. So wird alles beim Alten bleiben: Der kurzfristige Erfolg wird angepeilt. Wer von den Trainer da nicht mitzieht, muß seinen Platz an der Bande räumen.

Auf Kontinuität setzen die wenigsten Clubs. Nur zwei Trainer, die zu Saisonbeginn das Zepter schwangen, bleiben ihren Clubs auch für die nächste Saison erhalten. Hardy Nilsson (seit 1985) bei KEC und Janos Starsi (seit 1987) beim SB Rosenheim kann man in diesem fluktuationsreichen Gewerbe schon als Dauerbrenner bezeichnen. Der Eishockeylogik ist mit normalem Menschenverstand nicht beizukommen. Selbst so erfolgreiche Trainer wie Peter Johansson (er führte die DEG als Primus in die Play-Offs) und Vaclav Nedomansky (mit Schwenningen erstmals im Halbfinale) bekamen den Stuhl vor die Tür gesetzt.

Im Eishockey scheint alles etwas anders zu sein: Wer keine Probleme hat, der schafft sie sich selbst.