Ausverkauf der Mitte

Daimler-Benz und der Streit um den Potsdamer Platz  ■ K O M M E N T A R E

Der Potsdamer Platz - aufgetaucht aus dem Niemandsland, innerstädtische Brache im künftig vereinten Berlin; eine Grundstückfläche von einem europäischen Rang, wie es in Paris die Strecke von der Place de la Concorde bis zum Etoile, in Rom von der piazza Venezia bis zum corso Umberto darstellt. Dieser Schauplatz stadtplanerischer Visionen, dieser Ort, an dem über die Gestalt des entstehenden Berlin entschieden wird, soll nun dem ersten Anbieter anheimfallen. Daimler-Benz will eine Milliarde Mark investieren und bietet 8.000 Arbeitsplätze an, ein Angebot, das - wie es bei der Mafia heißt - man nicht ablehnen kann. Jetzt soll, und zwar unter Zeitdruck, weil der sensible Anbieter nicht warten kann, entschieden werden, ob Daimler -Benz die Vorgaben für die Stadtplanung oder die Stadtplanung die Vorgaben für Daimler macht.

An diesem Platz wird nicht nur über das künftige Stadtbild entschieden werden, sondern auch darüber, in welchem Geist die neue Stadt entsteht; ob sie in einem republikanischen oder in einem Geist des „D-Mark-Nationalismus“ (Habermas) entsteht. Der bedeutende New Yorker Urbanist Colin Rowe hatte schon 1984 Berlin ins Stammbuch geschrieben, daß es hier an einem „bedeutenden Dialog zwischen res publica und res privata“ mangele. Res publica heißt ja nicht nur öffentliches Bauen, sondern auch und vor allem ein öffentlicher und demokratischer Prozeß der Stadtplanung, die die Zeit haben muß, die sie braucht. Aber der Zeitplan des Senats ist ein Durchmarsch des Investors; der neue und zum ersten Mal demokratisch gewählte Magistrat in Ost-Berlin kann nur noch zu den geschaffenen Fakten nicken. Das ist kein Zeitplan, sondern ein roter Teppich, auf dem der Rüstungselefant in die Zukunft der Metropole vorantrampeln kann. Die res privata als Monolog.

Kann man den Konzern warten lassen? Er muß warten können. Am Potsdamer Platz ist jetzt nicht die Stunde des Kapitals, sondern der Politik. Wenn Daimler sich jetzt Sonderkonditionen erzwingen kann, werden sich die anderen Weltkonzerne, die in das „wesentliche Dienstleistungszentrum Europas“ (Daimler-Benz) drängen, kaum mit Geringerem abspeisen lassen. Ein bißchen mehr Mannesmut vor Wirtschaftsthronen! Der Bausenator hatte doch einmal ein „republikanisches Zentrum“ im „Zentralen Bereich“ vorgeschlagen. Hat er das vergessen? Der Senat ist in einer ganz anderen Pflicht. Er will doch auch Berlin als Modell der deutschen Vereinigung, ein Ort, an dem eine neue Demokratie entsteht, die von der Erfahrung der Aufhebung der Trennung bestimmt wird und nicht von der unfriedfertigen Übernahme von West nach Ost. Der Senat ist in der Pflicht, eine öffentliche Auseinandersetzung zu organisieren, die der Größe der Aufgaben der Berliner Stadtpolitik gerecht wird. Noch löst in der Berliner Provinzöffentlichkeit die Sperrung der Havelchaussee mehr Leidenschaften aus als die Zukunft der Stadt selbst. Berlin hat jedenfalls dieses Daimler -Diktat, das der industriellen Aussiedlungspolitik aus Zeiten des Inseldenkens entspricht, nicht verdient, selbst wenn die Berliner ihm jetzt zustimmen sollten. Und warum sollte Daimler-Benz, ein Konzern, der durch seine Größe sich schon in einer Schieflage zur Demokratie befindet, nicht zu überzeugen sein, daß ihm ein Signal der Achtung demokratischer Prozeduren hier und jetzt keineswegs schaden könnte?

Klaus Hartung