Unterbesetzung häufige Unfallursache

Seit Jahren versuchen auch die bundesdeutschen Gewerkschaften ÖTV und DAG auf die mangelnde Sicherheit auf deutschen Schiffen aufmerksam zu machen: „Kampf gegen die Ausflaggung und Zweitregister“ oder „Unterbesetzung der Brücke“ lautete die Losung der Seeleutegewerkschaften. Im November 1989 wurden die Warnungen durch die Realität eingeholt: Vor Helgoland kollidierte das unter Bahama-Flagge eingetragende Fährschiff „Hamburg“ mit dem norwegischen Frachter „Nordic Stream“. Drei Passagiere kamen ums Leben, sieben wurden schwer verletzt.

Gerade um die „Hamburg“ hatte es in den letzten Jahren heftige Auseinandersetzungen gegeben. Als das Schiff vor drei Jahren auf der Linie Hamburg-Harwich in Betrieb genommen werden sollte, beschloß die dänische Reederei DFDS, die 13.000-Tonnen Fähre nicht unter schwarz-rot-goldenem Banner fahren zu lassen, sondern es in Nassau (Bahamas) zu registrieren. Das ermöglichte der Reederei, die strengen bundesdeutschen Seevorschriften und die tarifvertraglichen Besetzungsordnungen bei der Schiffsführung außer Kraft zu setzen. Die Seeleutegewerkschaften liefen vergeblich gegen die Ausflaggung Sturm.

Die Rechnung flatterte der Reederei im vergangenen November ins Haus. Nach Ermittlungen des Bremerhavener Seeamtes hat nämlich die „Hamburg“ die Hauptschuld am Unglück vor Helgoland. Der unerfahrene Nachwuchsoffizier, dem das Ruder vom Kapitän übertragen worden war, hatte der „Nordic Stream“ trotz klarer Sicht die Vorfahrt genommen. Zudem war die Brücke der „Hamburg“ völlig unterbesetzt, so daß Ausweichmaßnahmen viel zu spät eingeleitet worden waren.

Und noch ein weiteres Problem plagt derzeit die Gewerkschaften. Um der Ausflaggung in sogenannte „Billigflaggenländer“ entgegenzuwirken, beschloß der Bundestag im letzten Sommer mit dem Stimmen der CDU/CSU/FDP -Koalition die Einführung eines bundesdeutschen „Zweitregisters“. Dieses zweite Schiffsregister ermöglicht es den Reedern, ihre Besatzungen zu Heimatlöhnen anzuheuern. Im Klartext: Während früher auch der ausländische Matrose nach bundesdeutschen Tarifen bezahlt werden mußte, können nun unter dem „schwarz-rot-goldenen Billigflaggenregister“ (Spitzname) beispielsweise chinesische Besatzungsmitglieder für weniger als 30 Dollar im Monat angeheuert werden. Die auf der Hand liegende Zukunftsvision: Die 17.000 gut ausgebildeten teuren deutschen Seeleute werden schrittweise ausgemustert und durch „Billiglöhner“ ersetzt.

Aber auch auf deutschen Schiffen im Erstregister ging in der Vergangenheit nicht alles mit rechten Dingen zu. Viele Reedereien zwangen ihre Besatzungen, trotz tarifrechtlicher Bestimmungen unterbesetzt zu fahren. So wurde oftmals bei Nachtfahrten auf den notwendigen Ausguck auf der Brücke verzichtet. Statt drei Leuten steuerte ein Offizier alleine das Schiff. Wenn er einschlief, fuhr das Schiff führerlos. Unterbesetzung der Brücke war eine der Hauptursachen für Kollisionen und Havarien in den letzten Jahren.

Kai von Appen