Nach Massendemos Ausgangssperre in Nepal

■ Polizei schoß auf Demonstration für Mehrparteiensystem / Ministerpräsident entlassen / Erster Dialogversuch offenbar gescheitert

Kathmandu (afp/ap/dpa/taz) - Die nepalesischen Behörden erweiterten die seit Samstag für die Hauptstadt Kathmandu und den Vorort Lalitpur geltende Ausgangssperre am Sonntag früh auch auf die Vorstadt Bhaktapur. In allen drei Städten hatten die Sicherheitsbehörden Demonstrationen, bei denen bereits seit Mitte Februar ein Mehrparteiensystem gefordert wird, gewaltsam unterdrückt.

Nach Angaben von Beobachtern weitete sich die Protestbewegung gegen das Vorgehen der Polizei, die am Freitag bei einer Massendemonstration von zirka 200.000 Menschen in Kathmandu zahlreiche Menschen getötet oder verwundet hatte, auch auf Städte und Dörfer im Süden Nepals aus. Demonstrationen wurden unter anderem aus den südlichen Städten Janakpur, Jhapa und Chitwan gemeldet.

Unklar war am Sonntag weiterhin, wieviele Menschen ums Leben kamen, als die Polizei am Freitag eine Massendemonstration auseinandertrieb, die Richtung Köngispalast gezogen war. Die Polizei habe das Feuer eröffnet, als sich die Demonstranten dem königlichen Palast in Kathmandu genähert hätten, berichteten Augenzeugen. Sie erzählten auch, daß die Polizei mit Waffengewalt einige Demonstranten daran gehindert habe, ein Regierungsgebäude in Brand zu setzen. Zuvor hätten die Einheiten in der Stadt Tränengas und Schlagstöcke gegen die Menge eingesetzt.

Offiziellen Meldungen zufolge sollen zehn Menschen getötet und 107 verletzt worden sein. Krankenhausangestellte hatten von zehn Toten allein in der Hauptstadt gesprochen, unter ihnen sollen auch drei Ausländer sein. Im ganzen Land seien zwischen möglicherweise bis zu 200 Menschen getötet worden, hieß es aus Oppositionskreisen. Ein westlicher Diplomat berichtete der Nachrichtenagentur 'dpa‘, er habe gesehen, wie ein Armeelastwagen vor einem Krankenhaus mit Leichen beladen worden sei. Aus verschiedenen Kreisen hieß es, in einem Dschungelgebiet nahe der Hauptstadt habe die Armee Hunderte von Leichen begraben. Am Samstag morgen hätten am Ufer des Bagmati-Flußes, der durch die Hauptstadt fließt, zahlreiche Kremationsfeuer gebrannt, berichteten Bewohner Katmandus.

Die rund 10.000 in Nepal festsitzenden ausländischen Touristen sollten ausgeflogen werden, hieß es am Sonntag aus diplomatischen Kreisen in Kathmandu. Der Flughafen von Kathmandu war am Samstag allerdings geschlossen und alle internationalen Flüge abgesagt worden, weil das Personal wegen der Ausgangssperre nicht zur Arbeit gelangen konnte.

Trotz des Ausgangsverbots in der Hauptstadt Kathmandu und deren Vororten gingen am Samstag zahlreiche Einwohner wiederum auf die Straßen und forderten mehr Demo Fortsetzung auf Seite 2

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kratie und ein Mehrparteiensystem. Sie trotzten damit der Drohung, sofort erschossen oder bei einer Festnahme für mindestens einen Monat inhaftiert zu werden. In Kathmandu seien Truppen aufgezogen, die Polizei sei mit Lautsprecherwagen durch die Straßen gefahren, um die Menschen vor der Verletzung der Ausgangssperre zu warnen, berichteten Augenzeugen.

Anfangs hatte sich die Demokra

tiekampagne der Parteien nicht gegen die Position des Königs, der als Reinkarnation der Hindu-Gottheit Vishnu als unanastastbar gilt, gerichtet.

Die Allmacht des Königs, der Oberster Befehlshaber des Militärs ist und ebenfalls die oberste Rechtssprechung ausübt, rückte erst in den Mittelpunkt der Kritik, nachdem der Monarch wochenlang die Schüsse auf Demonstranten hingenommen und die Regierung des Ministerpräsidenten Singh Shresta gestützt hatte. Eine Gruppe nepalesischer Parlamentarier forderte am Sonntag

in einer gemeinsamen Erklärung die sofortige Auflösung des ständeparlamentähnlichen Panchayat-(Fünferrat)-Systems und die Einführung eines Mehrparteiensystems.

Sie riefen König Birenda auf, „unerschrocken und rasch“ zu handeln. Die am vergangen Freitag verkündete Entlassung des Ministerpräsidenten Marich Man Sing Shrestha und die Freilassung aller politschen Gefangenen seien „zu spät und zu wenig weitreichend“ gewesen.

Der neue nepalesische Ministerpräsident Lokendra Bahadur Chand hatte am Samstag den Dialog mit der Opposition aufgenommen. Seine Gesprächspartner waren der älteste Führer der verbotenen Nepalesischen Kongreß-Partei, Ganesh Man Singh, sowie Mana Mohan Adhikari von der Vereinigten Linken Front. Das Treffen fand im Bir-Krankenhaus statt, wo sich Singh gegenwärtig aufhält, nachdem er am 18.Februar zeitgleich mit dem förmlichen Beginn der Kampagne für ein Mehrparteien-System unter Hausarrest gestellt worden war.

Singh verurteilte am Sonntag in einer Erklärung das „brutale Töten von unbewaffneten und unschuldi

gen Menschen, die nach Demokratie riefen“, durch die nepalesische Polizei.

Das Kathmandu-Tal sei in „ein großes Gefängnis“ verwandelt worden, wo die Toten aufgrund des Ausgangsverbots nicht beerdigt und die Verwundeten nicht medizinisch versorgt werden könnten, hieß es in seinem Schreiben.

Mitglieder der Kongreßpartei bezeichneten gegenüber 'ap‘ die Gespräche mit dem neuen Ministerpräsidenten als „schon im Ansatz gescheitert“. Ein ernsthafter Dialog könne erst dann geführt werden, wenn König Birenda das Mehrparteienverbot aufhebe.

Beruhigungsversuche des Königs, der zwei Kommissionen eingesetzt hatte, die Vorschläge für eine Verfassungsreform ausarbeiten und das brutale Vorgehen der Polizei untersuchen sollen, seien nicht zureichend.

Die Kongreßpartei kritisierte auch, daß noch nicht alle politischen Gefangenen entlassen worden seien. Zwar seien aus einem Gefängnis in Katmandu 38 der dort einsitzenden 47 Gefangenen entlassen worden seien, doch fehlten noch etwa 300

weitere Häftlinge aus anderen Gefängnissen.