Politisierte DDR- und autonome BRD-Frauen

■ Interview mit Dr. Eva Schäfer, einer der Referentinnen aus Ost und West in der Vorlesungsreihe „Grenzenlose Frauenforschung“

taz: Wer kam auf die Idee dieser Veranstaltungsreihe und was wollt ihr mit diesem Austausch bewirken?

Dr. Eva Schäfer: Ich wurde von zwei Frauen der TU Westberlin angesprochen, die mit dem Projekt kamen, eine Ringvorlesung mit Frauenforscherinnen aus der BRD und der DDR zu machen. Das erste und wichtigste Anliegen, sowohl für mich, als auch für die anderen Frauenforscherinnen aus Ost und West, ist, das überhaupt an die Öffentlichkeit zu bringen, speziell in der DDR. Es geht uns auch darum, in den wissenschaftlichen Austausch über Länder- und Systemgrenzen hinweg zu treten, mit dem Ziel, patriarchale Wirkungsmechanismen zu entschleiern. Denn es hat sich nicht zuletzt am Beispiel der DDR herausgestellt, daß Frauenunterdrückung, -benachteiligung und -diskriminierung internationale Probleme sind. Auch das vermeintlich sozialistische System in der DDR konnte eine Minderbewertung von Frauen im Bewußtsein und im Handeln nicht aufheben. Zu überlegen ist, welche Mechanismen trotz guter materieller Voraussetzungen zum Rückschritt in der Frauenfrage bei uns führten. Frauenforscherinnen in der DDR untersuchen zum Beispiel, woher dieses einseitig mütterkonzentrierte Frauenbild kommt, welches Väter aus ihrer Verantwortung entläßt und Frauen zum Störfall im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß macht oder zum Einzelfall in Leitungsebenen. Die Themen dieser Reihe sind sehr vielfältig. So fragen die Frauenforscherinnen danach, auf welche Art und Weise die öffentliche Manipulierung in den Medien zur Meinungsbildung beitrug, also wie Frauen gesehen werden und wie sie in den Medien dargestellt werden. Andere Wissenschaftlerinnen behandeln die Situation alleinerziehender Frauen in der BRD und der DDR, das Leben von Ausländerinnen in beiden deutschen Staaten, oder auch den Punkt, wie sich die stalinistische Diktatur in der DDR ganz speziell auf Frauen ausgewirkt hat und heute noch auswirkt.

Eva, du hast ja schon einige Punkte aus dem Inhalt deiner Vorlesung genannt, wie bist du selbst zu dem Thema Frauen gekommen?

Mir sind einfach Widersprüche aufgefallen zwischen dem, was Frauen leisten, ihrer persönlichen Ausstrahlungskraft und dem gegenüber ihrem Platz auch in unserer Gesellschaft, in der sie unterbewertet und kleingemacht werden. Da jedoch die Frauenfrage in der DDR offiziell gelöst war - ich erinnere nur an den VIII. Parteitag der SED -, mußte ich damals noch viel eigenes Engagement, wie die anderen DDR -Frauenforscherinnen auch, aufbringen, damit ich das Stichwort Frauen zum Thema meiner zweiten Dissertation machen konnte.

Worin siehst du die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der Frauenbewegungen in der BRD und der DDR und könnten sie zusammenkommen?

Die Frauenbewegung in der BRD und auch in der DDR als Ganzes gibt es nicht. Gerade in der BRD differenziert sich die Bewegung in unterschiedliche Strömungen mit verschiedenen Auffassungen über die Ursachen von Frauenunterdrückung. Dazu nutzt die BRD-Frauenbewegung auch verschiedene Formen des Kampfes und bevorzugt differenzierte Strategien. Die Darstellung des Gemeinsamen zum einen, aber auch der historisch gewachsenen Spezifik der Bewegungen in der DDR und der BRD ist der wesentliche Inhalt meiner Darlegungen. Dabei will ich verweisen auf die jeweils eigene Situation von Frauen beider Staaten, die Art und Weise ihres Kampfes und die übergreifenden gemeinsamen Aspekte benennen. Ein Unterschied im Frauenaufbruch besteht für mich darin, daß Frauen, die im Oktober in der DDR auf die Straße gingen für ihre Interessen, dies sofort mit dem Anspruch taten, daß sie an politischen Macht- und Entscheidungsfindungen teilhaben wollten. Frauen in der DDR gehen davon aus, daß nur, wenn Frauen ihre Interessen auf diesen Ebenen selbst wahrnehmen, eine Veränderung zu bewirken ist. In der BRD war der Frauenaufbruch - vor allem in der autonomen Frauenbewegung - getragen durch eine starke Anti-Haltung gegenüber politischen, von Männern dominierten Institutionen. Hier hat sich die Frauenbewegung als starke Projektebewegung entwickelt, die auch jetzt noch ein breites Netz von Frauenprojekten in der BRD unterhält.

Du meinst also, daß Frauen in der BRD sich konsequent aus den politischen Strukturen des Staates heraushalten wollen, sich ihnen gegenüber verweigern, während Frauen in der DDR die politischen Strukturen für sich und für den Kampf um Gleichstellung der Geschlechter nutzen wollen?

So absolut kann frau /man das nicht sagen, weil es eben innerhalb der BRD-Frauenbewegung unterschiedliche Strömungen gibt. Die Autonomen Frauen vertreten dieses Konzept, sich nicht vereinnahmen zu lassen, und konzentrieren sich stärker auf Frauenprojekte. Es gibt aber natürlich auch Frauen, zum Beispiel der Sozialdemokratie, die eindeutig versuchen, auch über das Eindringen in politische und wirtschaftliche Machtbereiche Fraueninteressen durchzusetzen. Die Frage der Autonomie und der Kooperation spielte und spielt auch in der Diskussion innerhalb der DDR-Frauenbewegung eine Rolle. Ich glaube aber, daß im Unterschied zur BRD in der DDR nicht solche starken Polarisierungen zwischen den beiden Möglichkeiten des Frauenkampfes bestehen. Es gibt auch bei uns Projektfrauen. Es beginnt sich eine Frauenkultur mit Frauencafes, -bibliotheken und -häusern zu entwickeln. Aber diese Projektfrauen haben sich meistenteils, insbesondere bei den Wahlen wurde und wird es deutlich, auch stark in die „offizielle“ Politik eingemischt. Sie vereinen in sich das Bestreben, sowohl in Politikbereiche zu gelangen, als auch frauenbezogene Projektarbeit zu leisten. Es kann natürlich sein, daß es in der Zukunft gewisse Scheidepunkte gibt. Momentan jedoch, und dies hängt auch mit der gesamten historischen Entwicklung von Frauen in der DDR zusammen, sind die Frauen in der Bewegung stark politisiert und wollen auch in die Institutionen.

Ist dafür der Unabhängige Frauenverband ein sichtbarer Ausdruck?

Auf jeden Fall, es ist wirklich so, daß seit Oktober '89 sich neben den bestehenden Gruppen - wir gehen davon aus, daß sich seit Anfang der 80er Jahre Frauen der DDR in Gruppen zusammenfanden - massenhaft neue Frauengruppen bildeten, die als ersten Impuls bei ihrem republikweiten Treffen beschlossen, sich ein Netzwerk, eine politische Interessenvertretung zu schaffen.

Ich denke im übrigen, daß bei allen Unterschieden Frauen in der DDR von den Erfahrungen, dem Erlebten der Frauen aus der BRD profitieren können und dies auch schon taten. Wir müssen jedoch in unserem Land davon ausgehen, daß kaum ein Bewußtsein bezüglich der Stellung von Frauen existiert. Die Berufskarrierefrau fragt sich nicht danach, um welchen Preis sie es geschafft hat. Andere resignieren, sehen aber ihre Probleme nur als persönliche, nicht als gesamtgesellschaftliche. Die Nächsten wiederum setzen den Kampf um Emanzipation mit Männerfeindlichkeit gleich und besitzen Vorurteile allein schon gegenüber den Begriffen Emanzipation und Feminismus.

Worin siehst du die Möglichkeiten für eine gemeinsame Arbeit beider Bewegungen?

Teile der Frauenbewegungen werden zusammenwirken können, angesichts der Folgen einer überstürzten Vereinigung sogar müssen. Es gibt in einigen Bereichen schon seit längerer Zeit, forciert natürlich in den letzten Wochen und Monaten, punktuell eine Zusammenarbeit. Über ein praktisches Zusammenwirken insgesamt zwischen beiden Bewegungen zu sprechen, würde auf Spekulation hinauslaufen. Prinzipiell denke ich, daß ein Verhältnis zwischen beiden anzustreben ist, welches ausgeht von gegenseitiger Achtung und Respektierung der Unterschiede und der Spezifika, aber den Gemeinsamkeiten den Vorrang läßt. Ich denke, wenn Frauen es schaffen, dies in der praktischen Arbeit zu realisieren, dann kann es zu einem wirkungsvollen, bündnisorientierten Zusammenwirken kommen.

Das Interview führte: Marinka Körzendörfe