Hinz und Kunst

■ Spaziergang durch die 20. Freie Berliner Kunstausstellung

Achtung, ab jetzt wird's gräßlich“, raunt mir meine Begleiterin - seit Jahren im Umgang mit FBK-Kunst abgehärtet - leise zu. Wir haben gerade die „Leistungsschau“ von nahezu 900 Bildern, Skulpturen und Installationen der Berliner Berufskünstler und solchen, die es noch werden wollen, in der „Freien Abteilung“ auf circa einem Kilometer Stellfläche an uns vorbeiziehen lassen. Gefehlt hat wieder mal nichts, nur das ästhetische Risiko ist kleiner geworden: Avantgardistische Perspektiven wie Sauereien sind Mangelware, RAF-Unterstützerkunst fehlt ganz. Grützke ist und bleibt der einzige Berliner Häßlichkeitsporträtmaler mit Sinn fürs Schweinische. Und für das steinerne Berlin finden sich noch immer Postkubisten en masse. Die Aktmaler treten in den Hintergrund. Doch verspätete Neoneuwilde mit Grabsteininschriften wie Das Leben was die Sinne frißt von Irene Herre aus Ost-Berlin haben das noch vor sich. Ganz am Rande ein Real-Symbolist, Senior Jose Garcia y Mas, der Walter Momper bei seiner täglichen Arbeit darstellt: Momper macht aus allen Hackfleisch. Der Rest, kaum zu glauben, sind Abrechnungen mit den vermaledeiten Kommunisten aus Polen, Ungarn, Rumänien und natürlich den Revolutionären aus der DDR. Auf beinahe zehn Prozent Gehängtem fallen sie über die Mauer nach Westen ein. Bunt, lachend, schockhaft vor dunklem Gewitterhimmel. Einzelne Bilder sind wie im Blitzlicht aus der Geschichtsgeisterbahn aufgetaucht. Untertitel: Berlin am 9. November 1989. Immer wieder der 9. November 1989. Und wieder der 9. November 1989. Und noch einmal der 9.November 1989. Die müssen gemalt haben wie im Rausch, denke ich, traumatisch, im Wahn. Die Wirklichkeit auf die Leinwand bannen, sie in Farben fesseln, ihr Ausdruck geben heißt das in der Kritikersprache. Eben steht im Wochenmagazin 'Die Zeit‘, Vincent van Gogh hätte im Unterschied zu seinen malenden Zeitgenossen soviel Macht in seiner Kunst über die Natur besessen, daß er sie zu einer neuen Realität im Bild zwingen konnte. Und das ganz einfach. Bei vielen FBK -Künstlern muß dagegen die neue Realität die Machtlosigkeit ihrer künstlerischen Ambitionen kompensieren. Und das ganz kompliziert.

Also gehen wir zu den 1.200 Voll-, Halb- und Nichtkunstwerken, den Sonnenblumen und Kornwiesen, Kartoffelessern und Tiergemälden der rund 80 freien Gruppen aus Hobbymalern und verkannten Genies, die der juryfreien Ausstellung auf weiteren zwei Kilometern den Hauch von wahrer Volkskunst geben. Erstens haben sich die Künstler die ungeschminkte Direktheit im Aufgreifen aktueller Nöte in der naiven und dilettierenden Kunst bewahrt. Zweitens sind alle Berliner Kunsterzieher bei ihrer Sorge um den sogenannten guten Geschmack an ihnen gescheitert, und drittens verbergen sich hinter der vermeintlich „ungelenken“ Pinselführung nicht allein subversive Schultheiss-Kraft, sondern ungeahnte und sensible Kräfte. Ob in Öl oder einem feinen Aquarell, als Collage oder in Bronze gegossen, hier ist noch das Ding das Ding, was man sieht. Ein Frauenkopf bleibt ein Frauenkopf. Zwei kämpfende Hähne sind zwei kämpfende Hähne, und selbst der Versuch, ins Informelle abzutauchen, tritt auf der FBK wieder als Berliner Realismus zutage. Sicher, wir stapfen auch an politischen Künstlergruppen vorbei, die noch mit Metaphern, Abstraktionen und Verweisen arbeiten. Farben, Material und Rahmen sind verfremdet. Zum Beispiel die Gruppe „Urban Art“, alte Hasen in der Kunstselbsthilfeszene, präsentiert auf sieben großen Schiefertafeln Sondermüll mit Holz und Kreide zu einem Polit -Personality-Ratespiel: Welcher Politiker erinnert an eine Eule, fragt die erste Tafel, auf der eine Eule aus Autoreifen und Lederfetzen zu sehen ist. Genscher! Klare Sache, seit „Genschman“. Welchen Politiker kann die Industrie füttern wie eine Ziege mit Holzbein, fragt die zweite Tafel. Natürlich, den hinkenden Baron Otto Graf Lambsdorff. Dritte Frage: Welcher Politiker wird Kanzler der BRD in den Grenzen von 1937? Na! .... Richtig! Und so weiter.

Auch die Gruppe „Rote 13“ versucht politisch zu künsteln, aber brutaler. Mit einfachen Mitteln machen sich die Maler und Bildhauer über rote Sachen her. Michael Gorbatschow lassen sie aus einem rotlackierten Fenster herausgucken, als sei er ein lang gesuchter Gangster aus dem Verbrecheralbum. Einer Hennenskulptur Geköpftes Huhn, die als Friedenstaube verkleidet ist, hacken sie mit dem Beil den Kopf ab, daß das Blut nur so herausschießt. Tot ist rot, und rot ist tot. Diese braune Niederträchtigkeit steigert nur noch die über 50köpfige Gruppe „Bloody Dog“, die sich seit 17 Jahren auf der Kunstmesse herumtreibt und deren Mitglieder allein der sichere Sinn für das Geschmacklose zu vereinen scheint. Nackte, Wilde, Irre, Geile, Tote und Lebende bevölkern die Stellwände. Das sind Alpträume in allen Farben. Das sind geschlechtsreife Gewitterstürme. Da toben sich Edeka-Filialleiter mit Sinn für Schlachteplatten aus, und Papas gehen in den Keller.

Manchmal tarnen sich die Gruppen mit grausam kunstvollen Namen, um über Kunstloses hinwegzutäuschen oder um mit der Geheimsprache den Konsens zu verraten. In die Gruppe „Pferd mit auswärtsstehenden Vorderfüßen“ scheinen sich arbeitslose Architekten eingeschmuggelt zu haben. Kuben und Häuser sind ihr einziges Thema. Das „Atelier Bomba Colori“ ästhetisiert alte Handtaschen alter Damen. Fünf schwarze und fünf weiße Taschen sind zu einem Mosaik an die Wand genagelt. Zerschneiden, teilen und neu ordnen tut die Gruppe „ASA 88“, indem sie Fotos aus der jüngsten Vergangenheit zu Erzähl -Collagen zusammenklebt. In der Malergruppe „Blauer Enzian“ dagegen haben sich wohl Pfarrer, Musiker und Kunstgeschichtler zu Arbeitstreffen und Reflexionsworkshops gefunden, sind doch ihre Bilder wie Das jüngste Gericht, oder Otto Dix und seine Frau nach einem Bild von August Sander oder Tango nicht nur abgekupferte Zitatensammlungen, sondern Übertragungen aus den Tiefen des eigenen Ichs. Die Arbeitsgruppe „Bor“ hat eine Koje in ein dunkelgrünes Verließ verwandelt. Kleine Bilder hängen wie sakrale Rudimente an der Wand und fordern zum Gebet oder wenigstens zur Meditation auf. Die Abgeschlossenheit macht schläfrig.

Um uns eine Ruhepause im Bildermarathon zu gönnen, hat sich die Gruppe „Sieben 87“ als Konzept das totale NICHTS ausgedacht. Zur raffinierten Strategie wird, mit dem „Nichts“ der Bilderfülle von 2.100 FBK-„Etwas“ ein Schnippchen zu schlagen. Das bleibt vor Augen und im Gedächtnis. Doch ganz kann die Gruppe aus KünstlerInnen und KunstvermittlerInnen ihr Versprechen Gruppe 87 - macht Nichts nicht halten. Auch das „Nichts“ wird verkunstet: Lottonieten mit der Aufschrift „Nichts“ sind zu einer seriellen Collage verarbeitet. Ein leerer Koffer bleibt als Hülle für nichts. In Gisela Weimanns verwobenen Papierstreifen mit der Aufschrift Nichts ist besser als gar nichts wird aus nichts schon deshalb etwas, weil sich die materielle Substanz dem Wort nicht entziehen kann. Dem Dilemma, Sinn mit Kunst verweigern zu wollen, entgeht auch nicht Thomas Wulffens Kunstproduktion, der aufwendigsten Arbeit auf der 20. FBK: Real-Nichts, so der Titel, ist ein dünnes Bleistift-Rechteck das direkt auf die Stellwand geschludert ist und das auf die Endlichkeit des vorgestellten „Nichts“ (oder „Etwas“) verweist.

Endlich kommen wir am Wahren, Wesentlichen und Schrecklichen der Berliner Formkunst vorbei: Am Eingang zu Halle 18 zeigt uns die Gruppe „Berliner Bildhauer e.V.“, welche Dinge wir meist zu spät sehen: Auf einem Postament etwas unter Augenhöhe ruht in 50 mal 50 mal 40 Zentimeter Größe das Berliner Wappentier, ein in Bronze gegossener Hundehaufen, und dampft schweigend vor sich hin. Gleich daneben, denke ich, wird die Scheiße erneut inszeniert, die Gruppe „Amalgam“ hat Bilderrahmen, Tische und eine Gießkanne braun gefärbt. Wer eine gute Nase hat, kann riechen, daß es sich um Konzept-Art aus schmierigem Schokoladenguß handelt. Mit der Schokolade wird ein Spiel von Herstellung, Verarbeitung und Abfallprodukt vorgeführt. Die eklig braunen Verweise erinnern an die Vielfältigkeit und Verwobenheit künstlerischer Zusammenhänge, an das Prinzip der Erinnerung und Verwandlung, will man Kunst oder Schokolade machen.

Beliebt sind die Naiven. Das sieht man schon daran, daß an ihren Bildern die meisten roten Punkte kleben, was „verkauft“ bedeutet. Ob es sich, wie bei der „Aktionsgemeinschaft Berliner Amateurmaler und Berliner Naive“ um erkennbar dogmatische Interpetationen der Lieblingskneipe (Zum Nußbaum), des Lieblingsimbisses (Imbiß im Wedding, des Lieblingsvereins (Hertha 03 Zehlendorf), des Lieblingshundes (Bathsi) oder der Lieblingsfrau (Suna) handelt oder es sich wie bei den erdverbundenen Steglitzern mit ihrem intensiven Reise -Realismus um Ausflugsvisionen zur Glienicker Brücke und dem Schloß Charlottenburg oder zu Zwei Käuzchen im Birkenwald und an die Atlantikküste dreht, man sieht, daß der Zeitgeist den ästhetischen Geschmack nur schwer prägen kann.

Der gemeinsame Nenner dieser echt Naiven ist die Akribie und Geduld und das etwas zu Bunte in den Farben, mit denen sie ihre Bilder malen. Dabei werde ich das Gefühl nicht los, daß gerade hier, wo mit scharfem Blick jedes Detail und jede Bewegung noch eingefangen werden, die Gegenstände zu ihrem ursprünglichen Recht kommen. Ob es nun das 3748. Blatt am Baum bei Savignyplatz der „Aktionsgemeinschaft“ ist oder ob sich der Maler besonders für die Schamhaare seiner blonden Dicken, die im Botticelli-Look als Frühling posiert, interessiert, alles ist besonders exakt, wie zum Ausschneiden gemacht und in natürlichem Kolorit herausgearbeitet, als würde es ausgepreist. Perspektiven purzeln, und farbliche Gestaltungsmerkmale fehlen. Ebenso naiv kann man sagen, daß die Egalität auf der Leinwand das wahrhaft Demokratische der Ausstellung ist, wo selbst die Abstrakten unter den Naiven es fertigbringen, die Pinselstriche gleichmäßig nebeneinander zu plazieren. Es ist zugleich das wirklich Demokratische, das Hinz neben Kunst setzt und im Kunst-Discount einer Lächerlichkeit preisgibt.

Da schmerzen mich nicht nur die Füße. Aber bei dem Gedanken, daß nächstes Jahr auch Gemälde vom Prenzlauer Berg, vom Müggelsee und von Rotkehlchen aus dem Garten des Stasi-Hauptquartiers dabeisein werden, wird mir wieder besser. Auch Walter Momper hat in seinem Grußwort die Steigerung gesehen, hofft er doch, „daß die FBK im kommenden Jahr einen noch besseren Überblick über Kunst in ganz Berlin gewähren kann.“ Uuaahh!!

rola

Die Ausstellung ist noch bis zum 29.April in den Messehallen am Funkturm zu sehen, täglich von 10-19 Uhr. Der Eintritt kostet 5, der Katalog 20 Westmark.