Europas „Schwarze Schafe“

■ Polnische Militärmission reagiert mit Befremden auf Senatsvorstoß zur Einführung der Visumpflicht für PolInnen in Berlin / Alternative Liste protestiert

Mit Befremden reagierte gestern die polnische Militärmission auf die am Freitag verkündete Initiative des Senats, die Visumfreiheit für BesucherInnen aus Ostblockländern aufzuheben.

In einer Zeit, in der die Bundesrepublik mit Ungarn und der Tschechoslowakei visumfreien Reiseverkehr anstrebe, befürchte man, „zu den schwarzen Schafen in Europa zu werden“, erklärte Presseattache Miroslaw Stankowski.

Eine offizielle Reaktion aus Warschau gebe es noch nicht, man habe die Regierung jedoch informiert. Von der Existenz des „Polenmarktes“ seien weder die polnischen Behörden noch die polnische Presse begeistert. „Wir sehen die Notwendigkeit, die Situation zu ändern, nur muß man sich fragen, ob das die richtigen Mittel sind.“ Der Senat könne zudem nicht einerseits von Berlin als „offener Stadt“ reden, kritisierte Stankowski, und andererseits Schranken aufbauen.

Weniger eine Einreise - als eine Ausgrenzungsunion sieht die Alternative Liste in der Senatsinitiative. Wer für sich selbst Visumfreiheit für die Einreise in osteuropäische Länder fordere und gleichzeitig für Polen neue Grenzen ziehe, sei politisch unglaubwürdig. Daß manche Auswirkungen des „Polenmarktes“ für Anwohner schwer erträglich sind, steht auch für die AL außer Zweifel. Man habe jedoch schon letztes Jahr vorgeschlagen, zivile Ordner einzusetzen, die Hauseingänge und Höfe freihalten.

Die eigentlich zuständigen Stellen schwiegen sich gestern noch aus. Man berate untereinander, hieß es in der Pressestelle der amerikanischen Alliierten. Sollte der Wunsch des Senats nach einheitlichen Einreisehindernissen verwirklicht werden, müßte eine alliierte Anordnung aus dem Jahre 1967 aufgehoben werden, wonach sich Besucher aus Ostblockstaaten bis zu 31 Tagen ohne Visum in West-Berlin aufhalten dürfen. Bei der Einreise in die Bundesrepublik müssen PolInnen dagegen Visum und 50 Mark für jeden Aufenthaltstag vorweisen.

In einer Presserklärung priesen gestern der Kreuzberger SPD -Vorsitzende Strieder und der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Wartenberg die Entscheidung des Senats, für polnische Touristen auch bei der Einreise nach West-Berlin die Visumpflicht anzustreben. Im Falle einer Einführung der Visumpflicht käme der derzeitige Pendelverkehr zum Erliegen, der Schwarzmarkt werde „erheblich reduziert“. Dann erst sehen die beiden SPD -Politiker die Voraussetzung, um „mit ordnungspolitischen, insbesondere polizeilichen Maßnahmen in den angrenzenden Wohngebieten erfolgreich gegen die inakzeptablen Begleiterscheinungen des Marktes vorgehen zu können“.

Vor der CDU-Propaganda gegen den Polenmarkt, die an „alte Ressentiments und Stimmungen der dreißiger Jahre“ erinnere, warnten die Politiker Strieder und Wartenberg, verstiegen sich dann allerdings selbst in „Überschwemmungsrhetorik“: weil West-Berlin der einzige für PolInnen frei zugängliche Ort in ganz Europa sei, übe die „Stadt eine magnetische Wirkung auf alle Polen aus“.

Andrea Böhm