Am Verfall ergötzen

■ betr.: "2.486 Sitzplätze", taz vom 5.4.90

betr.: „2.486 Sitzplätze“, taz vom 5.4.90

Nach einem Jahr in den USA freute ich mich auf so manche Eigenheiten deutscher bzw. europäischer Kultur. Um so ernüchternder war da meine Rückkehr.

„Endlich wieder etwas mehr Politikberichterstattung, die auch über das Geschehen im eigenen Lande hinausgeht“, dachte ich. - Und? Deutsch-Deutsches drängt alles andere in den Hintergrund.

„Endlich Schluß mit der Volksverdummung durch Kabel-TV“, dachte ich. Und? Die bundesdeutschen Haushalte werden fleißig verkabelt. In immer mehr Wohngebieten flattern Schreiben ins Haus, bei denen Mieter und Eigentümer vor die Alternative „Kabel oder Zimmerantenne“ gestellt werden. Mit billigen Einführungsangeboten wird kräftig gereizt, und schon bald können wir damit rechnen, daß in schöner Regelmäßigkeit die Gebühren erhöht werden, wie das in den USA längst üblich ist. Ohne Ankündigung - versteht sich. Aber es wehrt sich ja sowieso keiner.

„Endlich weg vom grenzenlosen Kaufwahn“, dachte ich. Und? Konsum ohne Grenzen auch hier, Verschwendung allerorten. Müllprobleme? Bloß keine Müllverbrennung. Aber Vermeidung? Darum kümmern sich ja die Umweltverbände. Und die Regierung. Und die Industrie. (?!)

Tja, und nun vereinnahmen die Hollywood-Konzerne auch noch unsere Kinokultur. Was gezeigt wird, bestimmen die Filmgiganten in der kalifornischen Metropole. Die breite Masse der lethargischen jugendlichen Kinogänger wird's wohl hinnehmen und glauben, die US-Massenware müsse ja gut sein. Kein Wunder, wenn die Werbekosten der meisten Großproduktionen inzwischen die Herstellungskosten eines Films überschreiten.

Da gehe ich doch lieber wieder zurück und ergötze mich an dem Verfall, anstatt hier das Überschwappen der Welle in den Osten zu beobachten. - Selber kämpfen? Na, was aus einer Revolution wird, hat man ja in der DDR gesehen.

Markus Schilling, Tamm