Entwicklungshilfe - jetzt privat

In der DDR hat sich die erste Nichtregierungsorganisation gegründet, die „Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit“ / In mehreren Städten gibt es nun Ortsgruppen  ■  Von Thomas Mösch

„Wir hatten angesichts der deutsch-deutschen Entwicklung die Befürchtung, daß die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt untergehen würde“, sagt Rolf Lennig, Philosoph an der Ostberliner Humboldt-Universität. Zusammen mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten rief er deshalb schon kurz nach der Wende zur Gründung einer „Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit“ (GSE) auf. Die Resonanz war unerwartet groß. Bis Weihnachten meldeten sich bereits über 400 Interessenten. Am 24. Februar wurde die erste landesweite Nichtregierungsorganisation offiziell aus der Taufe gehoben. Mittlerweile gibt es in mehreren Städten Ortsgruppen, und ein gutes Dutzend Arbeitsgruppen beschäftigt sich mit Spezialthemen wie Landwirtschaft oder Öffentlichkeitsarbeit.

Die GSE will die Probleme der Länder der Dritten Welt in den Blick der Öffentlichkeit rücken, aber auch konkrete Entwicklungshilfeprojekte angehen. Ob sie auch die bisher von der SED-Jugendorganisation FDJ getragenen Projekte übernimmt, ist noch in der Diskussion. „Da gibt es noch keine Zusammenarbeit“, sagt Lennig. „Die FDJ muß sich erst selbst neu aufbauen und überlegen, ob sie ihre Entwicklungshilfe fortführt.“ Eine Zusammenarbeit soll dagegen mit anderen in den letzten Monaten entstandenen Basisinitiativen entstehen, z.B. mit der Berliner Hungerhilfe Angola. Ein Dachverband aller Solidaritätsgruppen ist in Gründung, der unter anderem ein multikulturelles, gegen Ausländerfeindlichkeit gerichtetes Zentrum in Berlin tragen soll.

Organisationen wie die GSE arbeiten nach wie vor in einem rechtsfreien Raum. Weder haben sie einen zentralen Ansprechpartner auf Regierungsebene, noch ist sicher, ob ihnen die Gemeinnützigkeit zuerkannt wird. „Da besteht auf staatlicher Seite noch viel Skepsis“, klagt Rolf Henig. „Die meinen, auf diesem Gebiet hätten Privatleute nichts zu suchen.“ Seine Hoffnung liegt nun auf der neuen Volkskammer, zumal am Runden Tisch schon einige Vorarbeit im Hinblick auf Entwicklungspolitik geleistet worden ist.

Kontaktadresse: Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit GSE, Postfach 394, Berlin 1060, DDR, Tel. (0372) 375 11 89. Die GSE freut sich über Kontakte zu entsprechenden bundesdeutschen Partnern.