Proteste nicht unbedingt gegen den König

Hans Christof Rieger, Nepal-Experte an der Uni Heidelberg, zu den Hintergründen der Demokratiebewegung  ■ I N T E R V I E W

taz: Schon seit Jahren gibt es Ansätze von Protest gegen das Parteienverbot. Dennoch ist das Panchayat-System 1980 per Volksentscheid bestätig worden. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Rieger: Der Versuch, ein demokratisches System in Nepal zu etablieren, ist nicht neu. Im Jahre 1959 erzielte die Kongreß-Partei einen überwältigenden Wahlsieg. Damals haben sich allerdings die Parteien, insbesondere die Kongreß -Partei, die sich nicht nur mit dem Namen an Indien anlehnt, zerstritten. König Mahendra, der Vater des jetzigen Königs, hat Ende 1960 beschlossen, das Parlament aufzulösen und die Parteien zu verbieten. Diese sind daraufhin ins Exil gegangen, so auch der Führer der Kongreß-Partei, Koirala. Seitdem gab es immer wieder Bemühungen, einen Entscheidungsprozeß auf demokratischer Grundlage zu etablieren. Zunächst wurde das Panchayat-System institutionalisiert. Der Name geht auf das Hindi-Wort „fünf“ zurück und wurde von dem traditionellen Dorfregierungssystem abgeleitet, das angeblich im gesamten Subkontinent vor der britischen Kolonialisierung geherrscht haben soll: ein Ältestenrat, der aus fünf Personen bestand. Dieses System wurde in Nepal auf Dorf-, Distrikt- und nationaler Ebene eingeführt. In einem Referendum von 1980 unter König Birendra soll sich die Mehrheit für dieses System entschieden haben. Allerdings behaupten Gegner, damals sei der Wortlaut des Referendums in unzulässiger Weise mit dem König und damit mit seinem relativ hohen Ansehen verquickt worden.

Auch jetzt richten sich die Proteste nicht unbedingt gegen den König, sondern gegen daß Parteienverbot. Die im Untergrund und im Exil tätigen Parteien verlangten eine Wiederholung des Referendums. Informationen über die Stärke der Oppositionsbewegungen wurden jedoch offenbar durch den Verwaltungsapparat gefiltert, so daß der König selbst über die Verhältnisse nicht recht im Bilde war.

Zielte die im vergangenen Jahr von Indien verhängte Handelssperre schon auf eine politische Umgestaltung im Nachbarland?

Nein. Hier handelte es sich um einen anderen Konflikt. Indien ist Nepals größter Handelspartner. In einem Transit und Handelsabkommen hat Indien den Handel Nepals mit Drittländern gestattet. So bezog Nepal gegen harte Devisen Rohöl aus dem Golf. Das wurde in Indien raffiniert und dann auf dem Landweg nach Nepal gefrachtet. Nepal ist andererseits Einfallstor für Produkte aus Hongkong und Südostasien, auf die Indien hohe Zölle erhebt. Viele Inder umgehen diesen Aufpreis und decken sich in Nepal oder Kaschmir mit diesen Produkten ein. Das war den Indern immer ein Dorn im Auge. Hinzu kommt die nepalesische Verteidigungspolitik: Nepal hat sich in China mit Flugzeugabwehrgeschützen versorgt, nachdem die Inder ihnen diese nicht liefern wollten. Daraufhin haben die Inder ihre Handelsabkommen nicht erneuert. Nepal war gezwungen, für teures Geld in Singapur raffiniertes Öl zu kaufen.

Wie ist der Abschluß der Verhandlungen in der vergangenen Woche zu beurteilen?

Nicht zuletzt wegen persönlichen Reibereien zwischen Rajiv Gandhi und dem König wurde ein neues Handelsabkomen auf die lange Bank geschoben. Nach den Wahlen in Indien sieht dies sehr viel besser aus. V.P. Singh hat sich vorgenommen, die Beziehungen zu den Nachbarländern zu verbessern, wovon ja schon der Truppenabzug aus Sri Lanka zeugte. Es ist also demnächst mit einer Unterzeichnung zu rechnen. Nepal sitzt in diesem Konflikt allerdings am kürzeren Hebel.

Interview: Simone Lenz