Kippt der Schmücker-Prozeß?

■ Das Kriminalgericht Moabit sieht sich noch nicht in der Lage, über eine Einstellung des Mammutverfahrens zu entscheiden / Anträge der Verteidiger „nicht entscheidungsreif“ / Schöffen überfordert

Berlin (taz) - Die 18. Strafkammer am Kriminalgericht Moabit in Berlin hat gestern die Entscheidung über eine Einstellung des Schmücker-Verfahrens „zurückgestellt“. Weitere Anträge der Verteidigung, die eine fehlerhafte Besetzung der Kammer mit Ersatzrichtern und Schöffen gerügt hatten, wurde von der Vorsitzenden Richterin Ingeborg Tepperwien zurückgewiesen.

In dem Endlosgerichtsverfahren um die Ermordung des Studenten Ulrich Schmücker in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1974, hatten die AnwältInnen der vier Angeklagten zu Beginn der vierten Hauptverhandlung in einem mehrstündigen Vortrag eine Einstellung insbesondere im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer, die Unerreichbarkeit wichtiger Zeugen und die Bunkermentalität der involvierten Verfassungsschutzbehörden gestützt. Richterin Tepperwien begründete gestern die Entscheidung der Kammer damit, daß angesichts der Vielzahl der Sachverhalte, die die AnwältInnen in das Verfahren eingebracht hätten, die gestellten Anträge „nicht entscheidungsreif“ seien. Auf den ersten Blick erscheine es zwar „logisch und sinnvoll“, zu Beginn des Prozesses über mögliche Verfahrenshindernisse zu entscheiden. Auf den zweiten Blick offenbare sich aber, daß dies „nicht machbar sei“. Insbesondere müßten die ehrenamtlichen Schöffen berücksichtigt werden, die die komplexen Sachverhalte solange nicht beurteilen könnten, wie sie nicht wenigstens im Groben über den gesamten Vorgang informiert seien.

Als Beispiel nannte die Richterin die von den Anwälten beanstandete „unzulässige Verfahrenssteuerung“ durch die diversen Verfassungsschutzbehörden. Selbst das Gericht habe sich erst in die Problematik einlesen müssen, wonach nur in eng umrissenen Feldern eine Zusammenarbeit der Verfassungsschützer mit der Staatsanwaltschaft zulässig sei. Ein derartiger Überblick könne von den Schöffen dagegen nicht verlangt werden.

In den Ausführungen der Vorsitzenden kam die Linie zum Tragen, nach der das Gericht auch künftig nicht gewillt ist, dem Endlosprozeß wegen „überlanger Verfahrensdauer“ ein Ende zu bereiten. Als „Kompromißlösung“ bot Richterin Tepperwien ein „zweigleisiges Verfahren“ in der Beweisaufnahme an. Danach sollen „überall dort, wo es sinnvoll erscheint“, die vorgebrachten Zeugenaussagen und Dokumente auf mögliche Verfahrenshindernisse hin geprüft werden. Denkbar sei damit, daß schon vor der Vernehmung der Kronzeugen (sofern die V -Leute des Berliner Verfassungsschutzes überhaupt vor Gericht erscheinen werden) ein Punkt erreicht werde, in dem gravierende Verstöße gegen die Strafprozeßordnung sichtbar würden. Dann wäre der Zeitpunkt gekommen, über eine Einstellung des Verfahren erneut nachzudenken. Das Verfahren wird morgen fortgesetzt. Die RechtsanwältInnen haben bereits Anträge auf Aussetzung des Prozesses bis zu dem Zeitpunkt, da alle relevanten Akten vorliegen, angekündigt.

Wolfgang Gast