Wieder Mehrheit für Einheit

■ Vorgezogene Vereinigung in Sachsen-Anhalt / Halle und Halle-Neustadt nach sechsundzwanzig Jahren und Bürgerbefragung wiedervereinigt

Zwanzig Säcke Post brachten die Entscheidung im zuletzt doch nicht mehr gar so verbissen geführten Kampf um die „Wiedervereinigung“ der Städte Halle und Halle-Neustadt. Ob der anstehenden großen Einheit war die kleine vielen plötzlich dich nicht mehr so wichtig.

Immerhin mit satter Zweidrittelmehrheit entschieden die knapp 100.000 sich bis dato „Neustädter“ nennenden unter den Hallensern: Die Häuser an Ost- und Westufer der tensidschäumenden Saale werden demnächst wieder zu einer Stadt gehören.

Dazu muß Halle-Neustadts OB Liane Lang nur noch einen Antrag auf Aberkennung der Stadtrechte stellen, den der Bezirkstag abzunicken hätte. Dann wäre die Noch-DDR um eine zweifelhafte Attraktion ärmer und um eine Wiedervereinigung reicher.

Obgleich sich die Bürger beider Stadtteile nach Bekanntwerden des Befragungsergebnisses ebensowenig glücksstrahlend in den Armen lagen wie Fälle spontaner Massenproteste bekannt wurden, darf das Ergebnis wohl als einer der seltenen Siege der Vernunft auf deutschem Boden gelten.

Denn über die Teilung der Städte war, wie anders, seinerzeit in Berlin entschieden worden. Halle-Neustadt, heute knappe sechsundzwanzig Jahre alt und laut Politbürobeschluß eine „moderne sozialistische Stadt“ (BI -Lexikon 1984), sollte sozialistische Errungenschaften verkörpern. Beton gewordener Wohlstand, sozusagen.

Und wirklich, auch wenn die kirchen- und theaterlose Neustadt ohne das große Halle im Hinterland nie lebensfähig wäre, es lebt sich bedeutend besser in ihr. Fernwärme durchgehend, leidlich genügend Grün um die Kastenbauten, verlängerte Ladenöffnungszeiten, seit Jahren schon zentrale Westfernsehversorgung zum Nulltarif und Handwerker, die kaum auf sich warten lassen. So ließ es sich (bis kürzlich) für etliche selbst im real existierenden BUNA-Dreck aushalten.

Man konnte sogar stolz sein auf das Plattenbaureich! Während zehn Straßenbahnminuten entfernt historische Häuser zerfielen - angesichts des halleschen Bauleistungsetats von eben gerade mal 12 Millionen Mark kein Wunder - konnte sich der Neustädter Gebäudewirtschaftsdirektor entschieden größere Sprünge leisten. Fünfzehn Millionen etwa darf er jährlich verbauen, fast viermal soviel pro Einwohnerkopf wie sein Kollege aus der Noch-Bezirksstadt nebenan.

Wird das so bleiben? Eine Überlegung, aus der vor allem die Angst eines nicht geringen Teiles der Halle-Neustädter rührt, zukünftig kürzer zu kommen. Vielleicht gar zu kurz?

Ausschlaggebend für das am Ende trotz solcher Befürchtungen doch deutliche Votum einer Mehrheit für auch diese Einheit dürften die Hoffnungen der Halle-Neustädter gewesen sein, gemeinsam mit Halle weitaus bessere Karten im Spiel um den Sitz der künftigen Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts zu haben.

Nun, nach der geglückten Vereinigung, ist Halle also wunschgemäß größte Stadt im Land, die Konkurrenz aus Dessau und Magdeburg wurde, wenigstens auf dem Papier, heute schon ganz klar bezwungen.

Ob aber wirklich bald das heiß herbeigesehnte hauptstädtische Flair zwischen die bröckligen Fassaden der Genscher-Geburtstadt (der ganze Stolz der Gemeinde!) zieht? Wer weiß, in Berlin plant man unterdessen Länderstrukturen ganz ohne ein Sachsen-Anhalt...

Und ob die Hallenser Neustadt überhaupt haben wollen, hat auch keiner gefragt.

St. Könau