Zerrissene Bande

Ungarisches Demokratisches Forum bildet ein konservatives Lager  ■ K O M M E N T A R E

Es scheint ja jetzt in den Ländern des ehemaligen Ostblocks zur Regel zu werden, was sich bei den Wahlen in der DDR angedeutet hat. Auch in Ungarn müssen letztlich diejenigen zu den Verlierern zählen, die den Reformprozeß angestoßen haben. Vor allem die Reformkommunisten, die erst vor Jahresfrist die Öffnung des Regimes beschleunigten, haben keinen Dank geerntet und sind nur mit einer schwachen Fraktion im Parlament vertreten. Aber auch die ehemals linke, demokratische Opposition, die sich bei den Freien Demokraten gesammelt hat, muß mit den harten Bänken der Opposition Vorlieb nehmen. Denn Wahlsieger Joszef Antall hat allen Spekulationen um eine große Koalition von Freien Demokraten und dem Ungarischen Forum ein Ende gemacht. Die konservative Allianz aus Forum, Christdemokraten und der Kleinlandwirtepartei verfügt über eine ausreichende Mehrheit. Ungarn wird in Zukunft von den Konservativen regiert.

Die Bande der Gemeinsamkeit zwischen den beiden Strömungen der ungarischen Opposition gegen das stalinistische Regime sind spätestens am Sonntag abend zerrissen worden. Vielleicht waren sie niemals stark geknüpft. Denn schon vor Jahren lag eine fast unüberbrückbare Kluft zwischen jenen ungarisch-nationalen Schriftstellern, die sich im Demokratischen Forum sammelten, und der weltläufigen, hauptstädtischen Intelligenzija, die bei den Freien Demokraten den Ton angibt. Schützte die radikaldemokratische hauptstädtische Opposition die ungarische Erneuerungsbewegung vor den nationalistischen und antisemitischen Stimmungen im rechtspopulistischen Lager, so war nach dem ersten Wahlgang vor vierzehn Tagen der Bann gebrochen. Bis zum ersten Wahlgang wurden beide Parteien auch deshalb gewählt, weil sie die wichtigsten Strömungen der demokratischen Opposition im Lande repräsentierten. Seither ist es Antall und den Seinen gelungen, ein konservatives politisches Lager zu formieren. Der Wahlkampf um die Macht wurde nicht nur zur Schlammschlacht degradiert, er war auch der erfolgreiche Versuch, die ungarische Gesellschaft in eine neue Richtung, die an die Traditionen vor 1945 anknüpft, zu polarisieren.

Dem konnten die Freien Demokraten und die radikaldemokratische Jugendbewegung Fidesz nichts entgegensetzen. Restaurative Ideen stehen für sie im Gegensatz zu der Entwicklung einer modernen, demokratischen Gesellschaft. Doch immerhin ist es diesen Parteien gelungen ein Drittel der Wähler auf sich zu ziehen. Dabei wurden zwar vermutlich weniger die radikaldemokratischen Reformvorhaben in der Gesellschaft honoriert, als ein marktwirtschaftliches Wirtschaftsprogramm, das vielen Ungarn als kompetenter Vorschlag zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Umwandlung der Wirtschaft in eine Marktwirtschaft erscheint. Doch die politische Vorstellung, gemeinsam mit allen ehemals oppositionellen Kräften eine breite Grundlage für die Demokratisierung der Gesellschaft zu schaffen, ist mit dem Ausgang der Wahlen zerstört worden. Es mag vielleicht sogar zur Ironie der ungarischen Wahlen gehören, daß den liberaldemokratischen Kräften nicht einmal die punktuelle Zusammenarbeit mit den Reformkommunisten der Sozialistischen Partei erspart werden wird.

Erich Rathfelder