Die Ruhe des Sturms nach der Kaffeetasse

■ Diese Woche im Culture-Club: Fereydoun Parsanejad, Leiter der einzigen bundesdeutschen Theaterschule, die nach dem Stanislawski-System arbeitet

Fereydoun Parsanejad ist 47 Jahre alt, geboren in Teheran, Iran und seit 1967 in Bremen. Er betreibt in Bremen die freie Theaterschule Sturm, um „der Bremer Kultur zu dienen„.

Nach 5 Jahren am iranischen Nationaltheater als Regieassi

stent und Schauspieler zwangen ihn „politische Umstände während des Schah-Regimes„ zum Verlassen der Heimat. Für jede Inszenierung bedurfte es einer Genehmigung, schon Gorki wurde verboten. „Da reichte es schon, ihn zu besetzen, um ins Gefängnis zu kom

men.“ Aber warum ausgerechnet in die BRD? „Ich hatte Kontakte zum Goethe-Institut in Teheran, das viele kulturelle Programme anbot. Ich konnte ein wenig deutsch, und wo sollte ich sonst hingehen? Den Schah-Spitzeln in Deutschland hatte ich es zu verdanken, daß ich als Mitorganisator der Anti-Schah-Demo in Berlin mein Stipendium für die Filmakademie verlor. Das ist vielen jungen Iranern passiert. Manchen wurde sogar die Aufenthaltserlaubnis gestrichen.„

Der damalige Generalintendant des Bremer Theaters, Kurt Hübner, ermöglichte Parsanejad, Theatermalerei und Plastik zu lernen. In diesem Fach arbeitet er immer noch, seit 1969. Erste Kontakte mit dem Schauspielsystem nach Konstantin Stanislawski hatte er schon in Iran. „Nach meiner dreißig -jährigen Erfahrung halte ich dieses System für das effektivste, schauen sie sich doch mal die USA an. Paul Newman, Marilyn Monroe, Marlon Brando, Anthony Quinn, alles berühmte Namen, die diese Lehrmethode hervorgebracht hat.„ Unbestreitbar wohlklingende Namen, aber es gibt auch prominente Kritiker der Stanislawski-Methode. Philip Noiret kann mit Schülern dieses Lehrwegs gar nichts anfangen, sagte er kürzlich, und auch Brecht warf Stanislawski mangelnde gesellschaftliche Kritik vor. „Das habe ich auch gelesen, aber diese Diskussion gibt es, seit es das System gibt. Wir bringen wissenschaftliche Entdeckungen, physisches und seelisches Handeln

auf die Bühne - und zwar von A bis Z“.

Nach einigen Minuten des Gesprächs wird zumindest eines klar. Der Mann ist überzeugt von dem, was er sagt. Wenn das System so toll ist, warum ist dann seine Schule die einzige ihrer Art in der BRD? Historische und soziale Ereignisse macht der Theatermann dafür verantwortlich. Und Brecht sei mit seinem epischen Theater gar nicht so weit entfernt, sagt Parsanejad. Um Brecht richtig zu spielen, muß man Schauspieler sein, findet er. Also noch einmal die Frage. Wo sind denn nun die wesentlichen Unterschiede zwischen seiner Methode und der konventionellen Ausbildung?

„Beim konventionellen Erfahrungstheater steht zunächst das Äußerliche im Vordergrund. Figur, Stimme, Aussehen. Gleich zu Beginn fangen sie oft schon mit dem Rollenstudium an, das Innenleben der Menschen vernachlässigen sie genauso wie die Naturgesetze. Stanislawski geht da allumfassend ran, eine Tasse Kaffee trinken ist eben auf der Bühne etwas ganz anderes, als wenn das zu Haus geschieht. Wir üben das in Sequenzen und achten darauf, daß es nicht aussieht wie Tee oder Bier trinken.„

Aber lernen das nicht „Konventionelle“ auch? Wenn Bruno Ganz Kaffee trinkt, nehmen wir ihm das doch auch ab. Es gebe überall ein paar Genies, gibt er zu, die beherrschten die Gesetze unbewußt. Seine zehn SchülerIn

nen wählte er aus 78 BewerberInnen aus, anhand ihrer Begabung und der Biographie. Menschliche Werte, eine humane Einstellung und Aufrichtigkeit zählen für ihn. Aber auch: Disziplin und Pünktlichkeit. Um wissenschaftlich zu arbeiten, muß die Fähigkeit vorhanden sein, zu verstehen und umzusetzen. Können seine SchülerInnen das? Regelmäßiges und repetitives Training soll helfen. Dem Einwand, einige seiner Eleven hätten gewisse Schwierigkeiten, das System zu verbalisieren, begegnet er mit Gelassenheit. „Das muß man nicht so trocken sehen, die Etüden sind lebendig, wir lernen beim Tun.„ Begabung und Engagement als Theorie-Ersatz?

Nach zwei Jahren wird der erste Studiengang Ende des Jahres beendet sein. Parsanejad ist über

zeugt, daß einige seiner AbsolventInnen gute Berufschancen haben werden. Auch ohne eine staatliche Anerkennung. Noch, wie er hinzufügt. Daß er irgendwann mit staatlicher Unterstützung rechnen kann, da macht er sich allerdings keine Illusionen, „nicht mehr in meinem Alter.„ Und warum macht er das alles? “ Weil ich die Theaterarbeit über alles liebe und mein Wissen und meine Erfahrung an junge Menschen weitergeben will.„ Aber das hätte er doch auch schon vor vielen Jahren machen können? „Mein Regisseurzeugnis habe ich 1988 bekommen und damit auch die Lehrbefähigung. Ich mußte auch erst neue Curricula erstellen, die Lehrbücher Stanislawskis kann man nicht einfach so umsetzen.„ Antworten hat er, der Herr Parsanejad. Jürgen Franck