Berliner soll die Impulse für die Einigung geben

■ Die taz sprach mit dem Ostberliner PDS-Vorsitzenden, dem Staatswissenschaftler Wolfram Adolphi, über die Chancen und das Programm der Partei bei den Kommunalwahlen am 6. Mai / Die PDS will das Wahlergebnis vom 18. März wiederholen

„Progressiv - produktiv - pro Berlin“, mit diesem Slogan tritt die Ostberliner PDS zu den Kommunalwahlen am 6. Mai an. Die spannende Frage ist, ob sich das Ergebnis der Volkskammerwahl wiederholen wird. Die PDS erzielte am 18. März immerhin 30 Prozent der Stimmen und lag damit kurz hinter der SPD. Die taz sprach mit dem Bezirksvorsitzenden der PDS, dem Staatswissenschaftler Wolfram Adolphi, über die Chancen seiner Partei und deren kommunalpolitischen Ziele. Adolphi ist seit dem 11. Februar PDS-Vorsitzender von Ost -Berlin. Der 39jährige Staatswissenschaftler ist Experte für China und Ostasien und war viele Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität. Der SED gehört er seit 1970 an, ohne höhere Parteiämter bekleidet zu haben.

taz: Die SPD hat erklärt, nach dem 6.Mai in Ost-Berlin regieren zu wollen. Sie braucht dafür auch Stimmen aus dem Kreis der PDS-Wähler. Was tun Sie dagegen?

Wolfram Adolphi: Dagegen tun wir erst einmal nichts. Wir wollen wie im Volkskammerwahlkampf nicht so sehr gegen jemanden Wahlkampf führen, sondern wollen ein selbstbewußtes Nachdenken über die Zukunft dieser Stadt. Wir haben ein Programm dafür, das sehr breit diskutiert wird. Das heißt natürlich nicht, daß wir gar keinen Wahlkampf führen.

Sie wollen aber doch bestimmt Ihr Ergebnis von der Volkskammerwahl wiederholen.

Das wollen wir unbedingt, darum ringen wir.

Aber worin unterscheiden Sie sich denn von den anderen Parteien, vor allem von der SPD?

Wir sagen ganz eindeutig: Wir wollen einen selbstbestimmten, gleichberechtigten, souveränen Einigungsprozeß zwischen Ost- und West-Berlin. Wir fragen, welche demokratischen Formen braucht es überhaupt, um den Willen des einzelnen Berliners deutlich zu machen. Es braucht vor allem Zeit, es darf keinen überstürzten Einigungsprozeß geben. Es braucht eine Verbindung von parlamentarischer Demokratie mit den in diesem Teil der Stadt entstandenen neuen Formen von außerparlamentarischer Demokratie. Damit meinen wir zum Beispiel Volksabstimmungen, damit meinen wir auch Gremien nach Art der Runden Tische.

Alle reden von der Vereinigung Berlins, im Gespräch ist dabei ein Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren. Haben Sie ähnliche Vorstellungen?

Ich ziehe den Begriff der Einigung vor, als wirkliche Einigung zweier gleichberechtigter Seiten. Die PDS hat sich am 12.2. dafür eingesetzt, daß durch eine Änderung des Wahlgesetzes am 6. Mai in Berlin eine neue Stadtverordnetenversammlung gewählt wird, damit es auch hier demokratisch legitimierte Partner gibt. Zeiten haben wir bisher noch nicht konkret durchgerechnet, weil wir denken, solche Zeiträume müssen sich erst im sachlichen Miteinander ergeben.

In West-Berlin wird darüber gestritten, ob die Vereinigung Berlins schneller vor sich gehen sollte als die nationale, ob sie parallel verlaufen oder zum Schluß kommen sollte. Was ist Ihre Meinung dazu?

Von Berlin können wesentliche Impulse für die Einigung ausgehen. Wir meinen damit nicht, daß es schneller gehen soll. Die Bedingungen sind hier aber außerordentlich günstig, um schneller Lösungen zu finden, da der Problemkreis eingeschränkter ist. Hier könnten modellhafte Formen entwickelt werden, hier kann man auch einmal einen Rückschlag erleiden und sagen, so machen wir es im gesamtstaatlichen Prozeß nicht.

Das wird alles stattfinden, aber niemand will dabei mit der PDS reden. Glauben Sie nicht, daß Sie dem Vereinigungsprozeß nur als Beobachter beiwohnen? Die SPD will ja nicht einmal auf dem Ostermarsch mit Ihnen gesehen werden.

Langfristig gesehen bin ich der festen Überzeugung, daß die SPD auf solchen Anti-PDS-Positionen nicht beharren kann.

Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?

Erstens haben wir kein negierbares Wahlergebnis erreicht, und wir werden auch in den Kommunalwahlen sicher nicht zu einer negierbaren Größe schrumpfen. Wir werden eine politisch ernst zu nehmende Kraft bleiben.

Aber auf der Oppositionsseite?

Ja, aber wenn ich den gesamten Einigungsprozeß betrachte, werden sich in der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen auch bei der SPD Positionen ändern müssen. Zweitens wird die PDS in ihrem Prozeß der Modernisierung so weit fortgeschritten sein, daß daraus neue Impulse für Gemeinsames folgen.

Wie sieht denn die Zukunft der PDS in Berlin aus? Haben Sie vor, in West-Berlin einen Ableger zu gründen?

Nein, das haben wir nicht. Es gibt Kontakte nach West -Berlin, die haben aber von unserer Seite überhaupt nichts damit zu tun, eine Tochter- oder Schwesterpartei zu gründen. Wir sind hier im Kontakt mit den Parteien und Bewegungen, die sich in der DDR als links von der PDS verstehen. Hier gibt es enge Kontakte an der Basis, auf meiner Ebene könnten es mehr sein.

Das hohe Wahlergebnis der PDS in Berlin wird u.a. auch damit erklärt, daß sich in Berlin der Staats- und Sicherheitsapparat konzentriert hat und das immer noch tut. Der Großteil dieser Menschen war in der SED. Was tun Sie mit diesen Leuten?

Laut Infas-Umfragen hat uns neben einer Stammwählerschaft auch ein großer Anteil von jungen Leuten gewählt, die den Prozeß der Erneuerung für glaubwürdig gehalten haben. Wir haben auch in der Gesamtkandidatenliste für die Kommunalwahlen überwiegend 25- bis 40jährige nominiert. Was die Ministerien angeht: Ich habe nicht das geringste Interesse, daß 85.000 oder 90.000 Menschen keine Heimat mehr haben oder ausgegrenzt werden. Wir können keine Ghettos errichten, und wir können sie auch nicht pauschal aus der Partei ausschließen. Wenn sie in der Partei geblieben sind, kann man davon ausgehen, daß sie sich moralisch auseinandersetzen wollen.

Haben Sie nicht die Sorge, daß Sie irgendwann im Prozeß der Modernisierung nicht mehr unterscheidbar von der Sozialdemokratie sind?

Nein, das ist nicht meine Sorge. Mir geht es vielmehr darum, gemeinsam darüber nachzudenken, wie denn eine europäische Linke organisiert sein muß. Es geht darum, darüber nachzudenken, wann Europa in der Welt eine Chance hat. Wir müssen gemeinsam ein Gesamtkorrektiv im Prozeß der Einigung sein, der immense soziale Probleme mit sich bringen wird. Es ist für Deutschland sehr wichtig, nicht provinziell und nicht deutschtümelnd zu denken, alles andere wird uns in eine Katastrophe reißen.

Interview: Kordula Doerfler und Claus Christian Malzahn