Schöne Bescherung

■ David Bowie in der Westberliner Deutschlandhalle

Hast du deine Wunderkerzen dabei?“ fragte der Jungfan hinter mir seine Freundin. Gleich so ein Schlag in die Magengrube. Zwar hatte ich wenigstens im Zubringerbus zwei besonnene Altfans aus der Ziggy-Periode, kupferrot und kirschrot-grau -changierend beschopft, in konzentrierter Versenkung dem Konzert entgegenerinnernd gesehen, aber schon hier war der lustig lärmende Wallfahrerpulk in der Überzahl, der Chap und Spiderman nur an der Farbe der Eintrittskarten unterscheidet und sie beide nach Konsumvollzug als Trophäen des Dabeiseins an die Klotürpinnwand heftet. Von einem würdigen Gedenken an die großen Erfolge und noch größeren Gefühle jener Zeit konnte also keine Rede sein - obwohl doch der „Megastar“ selbst zum Staatsakt geladen hatte.

Einst als Major Tom von allen irdischen Körperzwängen ins All wegmaterialisiert und dann in verschiedenster Gestalt wiedergeboren, glaubte er offenbar, sich in diesen aufgeklärt-kommunikativen Zeiten mit der Masse rückverdrahten zu müssen. Und richtete mittels telefonischer Vorbestellung ein demokratisches Wunschkonzert an, um als lichtscheues Monster, heroischer Mauerleider und Aschenclown fröhliche Wiederauferstehung zu feiern. Nicht daß er noch als Androgyner ginge - die „gay friends“ aus Berlin werden immerhin mit einem Wunschhit gegrüßt, und auch für die Frischfans wird mit einer Zwanzig-Marks-Vierfarbfetischfibel vor dem Eingang was getan, aber nach dieser Tournee wartet schon das „urwüchsige dynamische Rockkonzept“ namens tin machine, mit dem Über- und Außerkörper Bowie als „gleichberechtigtes Gruppenmitglied“ (Promotext) sich im Reißverschlußsystem gesellschaftstauglich erweisen will, und diese Tournee ist offenbar der Büchsenöffner dazu. Wer wollte dem Zombie die Zukunft zerschlagen, nur ist halt sein Leben von jeher edles Siechen gewesen, an sich selber keusch.

Aber Jean Jeanie, die Spiders, Time-takes-a-cigarette alle diese zarten Gestalten, längst im Pophimmel verewigt, müssen jetzt leibhaftig ran, werden von diesem freundlichen jungen Mann in weißer Rüschenbluse und schwarzem Anzug, der sogar ziemlich echt (geliftet? gefastet?) aussieht, nochmal hergenommen, mit exhibitionistischer Freude vor allen Leuten säkularisiert, mit den eigenen Waffen geschlagen: mit der melodiös weltverzweifelten Stimme (und er war einer der ersten genialen Erfolgsheuler), mit dem eingefrorenen Sekundenlächeln asexueller Verheißung, dem Charme unsicher -tapsiger Bewegungen, weltgewandt kaschiert. Nicht gerade kalt, eher unbeteiligt klappert dieser Sympathisant seiner Songs, die mit dem Stargitarrero Adrian Belew durchaus gutgewürzte Playlist ab; Ziggy Stardust schleppt sich träge über den Synthieteppich, bei Fashion schunkelt die Tolle mit, bei China Girl verschämtes Feuerzeugzündeln im Pulk, bei Let's dance klatscht Bowie selber den Takt. Und jeder kriegt, was er verdient. Hinten, Kilometer von der Bühne entfernt, schmeckt die Welt noch nach Berliner Freiheit und Sternenstaub, die überdimensionalen Bowieschatten eines Videos, das auf einen Gazevorhang vor der Bühne projiziert wird, verschwimmen in der Dröhnung. Hier wird Andacht gehalten, auf den Rängen Totale geschaut. Ganz nah vor der Bühne zertrampeln die 25jährigen Entzogenen die Eiskonfektschachteln ihrer dreizehnjährigen Nachkommen, die auch schon wieder, abgeklärten Gesichts die alten Songs mitbuchstabieren, die Sehnsuchtsleerstellen besetzen, safer sex mit fantasy.

Anything goes, alles nur noch eine Frage der Selbstbefruchtung, und das Wort ist Fleisch geworden, Fame eine Discographie, No return of the thin white duke ein höfliches Bedauern, mit dem Außerirdischen heute nicht dienen zu können, plopp machen die schönen Seifenblasen zwischen den Rachengold-Zähnen, aber die sind wenigstens noch krumm. Und dann ein prüfender Blick ins angeblendete Publikum - und Glanz fällt in die kleinste Tribünengemütlichkeit mit dem fernsten Turnhallensound - ob auch alle andern Erwachsengewordenen so realitätstüchtig sind. Aber sie wehen mit den Armen von fern, dem alten Idol verfallen, und Bowie sagt ein paar nette unverbindliche Worte.

Nach einer Stunde ist eine Viertelstunde Pause, mit Saallicht und Sex Pistols, aus Kult wird Kultur. Sehnsucht ist doch nur aus dem Ausmalbuch: Mit einem blonden Riesenvamp über sich auf der Bühnenhaut, mit prasselnden Hyperflammen hinter sich, das eigene Unterfangen erwärmend, irgendwo dazwischen steht Bowie, ziemlich klein, mit Landfahrergitarre, in einem wahrscheinlich selbstausgedachten Mausoleum, eingerahmt von einem rotblinkenden antikisierenden Fries mit Löwenköpfen und Putten. Plastik-Stimmungsmache wie die elektrischen Lichtergirlanden an den Küchenfenstern alljährlich zu Advent, und wahrscheinlich ist es bei aller Gräßlichkeit auch genauso lieb gemeint - merry Christmas, Mr. Furyo.

Dorothee Hackenberg