: Von Vietnam bis Chomeini
■ Wendy Wassersteins erzählt „Heidis Geschichte“
Heidi lebt in Chicago, nicht auf der Alm, und auch die fünfziger Jahre des J.R. McCarthy sind längst vorbei. Für die Reinheit Amerikas und die Republikaner zieht jetzt, im Jahre 1968, sein Namensvetter Eugene McCarthy ins Feld. Auf einer seiner Wahlpartys taucht plötzlich Scoop Rosenbaum neben Heidi auf und gibt vor, Chefredakteur einer Zeitung zu sein, Auflage 320, Tendenz steigend. Am Schluß wird er reich sein.
Zeitenwechsel: Die achtziger Jahre gehen ihrem Ende entgegen, und Scoop besitzt unter anderem das New Yorker Zeitgeist-Magazin 'Boomer‘. Er bestimmt die Trends von der Weinsorte bis zu den Grundstückspreisen. Heidi (Catrin Flick) hat es nicht so weit gebracht, ist aber weiter. Seit sie sich auf einem Schulfest weigerte, den Rock für die Jungs etwas zu liften, ist das Leben anstrengend geworden: Wie es selbstbestimmt führen und nicht einsam werden? Wie sich als Kunsthistorikerin und gesunde Skeptikerin den Trends der Zeiten verweigern und nicht zynisch werden? Ihre Leidenschaft gilt den vergessenen Malerinnen von der Renaissance bis heute. Ein Buch hat sie geschrieben und ist allseits anerkannt - Geld läßt sich damit nicht verdienen. Sie heiratet Scoop Rosenbaum nicht, obwohl sie ihn liebt und obwohl Rudolf Kowalski Scoops abgründigen Charme so spielt, daß manche willenlos wäre. Heidi hat allen Grund, skeptisch zu sein. In den achtziger Jahren geraten selbst ihre Jugendfreundinnen aus frauenkämpferisch bewegter Zeit auf seltsame Pfade. Die eine wird nervende Fernsehproduzentin, die andere müde Hausfrau. Eines jedoch ist allen gemeinsam: Sie wollen alle plötzlich Kinder. Stimmt es, daß dies das große Ziel der Frauenbewegung war, Karriere und Kinder in Einklang zu bringen? Die Skeptikerin Wendy Wasserstein setzt ein großes Fragezeichen dahinter. Es ging auch darum. Aber daß es so in Schein und Geplapper endet, wollte niemand. Den Frauen ist im Laufe der Zeit der klare Blick für ihre Ziele abhanden gekommen.
Und wer ihnen fehlt: John Lennon. Er war zwanzig Jahre lang vor allem durch die berühmten Peace-Happenings mit Yoko Ono präsent. Sie werden am Anfang der Stationen von Heidis Weg in die kalten Regionen eines selbständigen Lebens dokumentarisch eingeblendet. Mitte der achtziger Jahre ist dann immer häufiger das Bild von Gorbatschow zu sehen. Daß die einzelnen Stationen mit dokumentarischen Bildern von Vietnam bis Chomeini eingeleitet werden, kann für das Theater tödlich sein. Wendy Wassersteins Stück verträgt es. Wie wenig Pulitzer-Preise, Broadway-Stählung und Film -Lorbeeren über die Qualität junger amerikanischer Stückeschreiber aussagen, konnte man in den letzten Tagen gleich zweimal feststellen. Zuerst gab's in Stuttgart Beth Henleys Debutantinnenball, dann in Basel Martin Shermans Ein Irrenhaus in Goa. Beides flache Stücke, die nach kurzer Zeit vergessen sein werden. Die Fahrt nach Stuttgart und zur dritten deutschen Erstaufführung innerhalb kürzester Zeit wurde deshalb in nicht gerade hoffnungsvoller Stimmung zurückgelegt. Daß sich Wendy Wasserstein ebenfall einen Pulitzer-Preis ans Revers heften kann, für Steven Spielberg Maids in America schrieb und journalistisch unter anderem für die 'New York Times‘ tätig ist, half da nichts. Es war deshalb überraschend, daß Wendy Wasserstein ihre Geschichte von Heidi mit Gespür für Zwischentöne erzählt. Simon Stokes, Regisseur aus London, inszenierte das Innenleben der Figuren und opferte es nicht den dokumentarischen Zügen des Stückes.
Jürgen Berger
„Heidis Geschichte“ von Wendy Wasserstein. Schauspielhaus Stuttgart. Die nächsten Inszenierungen: 20., 25. und 26.4
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