Der Blick in die Vergangenheit des Universums

■ US-Raumfähre will am Donnerstag das Super-Fernrohr „Hubble Space Telescope“ im Weltraum aussetzen / Das milliardenschwere Projekt der Superlative soll der Astronomie neue Dimensionen eröffnen / Elf Tonnen schwerer Koloß hat die Ausmaße eines Omnibusses

Am Dienstag um 14.47 Uhr MESZ begann in Cape Canaveral wenn denn alles gut gegangen ist - ein neues ehrgeiziges Weltraumunternehmen der Superlative. Mit dem „Hubble Space Telescope“ (HST) soll der technisch komplizierteste und teuerste Satellit der Geschichte ins All transportiert werden. Experten vergleichen die Bedeutung dieses Unternehmens schon mit der Erfindung des Fernrohres durch Galileo Galilei. „Hubble“ soll den Astronomen ungeahnte Dimensionen eröffnen: den Blick zurück in die Vergangenheit und den Blick an den „Rand“ des Universums. An dem Gemeinschaftsprojekt der europäischen und amerikanischen Weltraumkonzerne ESA und NASA sind unzählige Firmen, Institute und Universitäten beteiligt.

Das 1,5 Milliarden Dollar teure omnibusgroße Super-Teleskop soll zwei Tage nach dem Start in etwa 600 Kilometern Höhe über der Erde aus der Ladebucht der US-Raumfähre dirigiert und stationiert werden. Falls sich die mit 48.000 Solarzellen besetzten Sonnensegel des Satelliten nicht von selbst ausklappen, müssen zwei der fünf Astronauten aussteigen und Hand anlegen. Nach den letzten katastrophalen Mißerfolgen im Satellitengeschäft soll diesmal garantiert nichts schieflaufen, um die erhoffte neue Ära der Astronomie nicht zu gefährden.

Nach einer Einarbeitungszeit von einem halben Jahr soll Hubble dann fahrplangemäß den Astronomen aller Länder ab Ende dieses Jahres für einen neuen Blick ins Universum zur Verfügung stehen.

Das Weltraumteleskop wird den Erdbewohnern Galaxien und Planeten zeigen, die noch niemals zuvor ein Mensch gesehen hat. Dafür sorgt eine in ihrer Leistungstärke einmalige Optik. Das Auflösungsvermögen des Gerätes liegt bei einer Hundertstel Bogensekunde. Übersetzt: Auf 300 Kilometern Entfernung können Objekte von der Größe eines Pfennigs fokussiert werden. Seine Kameras können das Licht eines Glühwürmchens in einer Entfernung von 16.000 Kilometern „erkennen“. Hubble sieht etwa 40- bis 50mal mehr als die besten auf der Erde installierten Riesenfernrohre, auch wenn diese zum Teil noch größer sind. Der Blick des Fernrohres richtet sich allerdings nicht auf die Erde. Dort versperrt die Lufthülle mit ihrem Nebel, mit Staub, Wasserdampf und unzähligen Kleinpartikeln eine ungetrübte Beobachtung. Erst außerhalb der Atmosphäre beim Blick in die Unendlichkeit des Kosmos kann Hubble seine im Wortsinne überirdischen Qualitäten entfalten.

Während der Mensch an günstigen Tagen mit dem bloßen Auge am Himmel noch Gestirne wahrnehmen kann, die Millionen Lichtjahre entfernt sind, schafft das Superfernrohr im All spielend mehrere Milliarden Lichtjahre. Joachim Prölss, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bochumer Sternwarte, erläutert die neuen Dimensionen: „Wir blicken sozusagen in die Vergangenheit und können damit Galaxien in ihrem jugendlichen Zustand und Frühzeiten der Sternentwicklung erforschen“. Wie das?

Ein zwanzig Lichtjahre entfernter Stern sieht beim Blick durch ein Fernrohr genau so aus wie er vor zwanzig Jahren ausgesehen hat. Solange braucht nämlich das Licht, um den Weg vom Objekt zum Betrachter zurückzulegen. Damit sehen wir niemals die aktuelle Situation eines Gestirns, sondern blicken immer direkt in die Vergangenheit. In diesem Sinne ist Hubble eine gigantische Zeitmaschine, die den Blick zurück in die Gründerjahre des Kosmos gestattet.

Die Astronomie erwartet von diesem Blick zurück neue Erkenntnisse über die Entstehung und Entwicklung des Universums. Gegenwärtig entfernen sich die Galaxien in allen Richtungen von der Erde. Rückwärts gerechnet, bestätigt dies die Theorie des Urknalls. Aber es wurden auch einige weit entfernte Galaxien entdeckt, die, so Joachim Prölss, schon so weit entwickelt sind, daß sie dieser Urknall-Theorie widersprechen. Berücksichtigt man nämlich die lange Zeit, die das Licht braucht, dann müßten diese Galaxien eigentlich noch viel jugendlicher erscheinen als sie beim Betrachter auf der Erde ankommen. Hier sind nach Überzeugung der Bochumer Astronomen umfangreiche Beobachtungen und intensive theoretische Berechnungen notwendig.

Auch die Gesetzmäßigkeiten der kosmischen Anordnung der Galaxien kann, so Prölss, mit Hilfe des neuen Teleskops im All erforscht werden. Die Galaxien formieren sogenannte Strings (Ketten), oder sie bilden „krumme Finger“ aus, Linien, gruppieren sich zu Haufen und Superhaufen. Auch hier ein weites Feld für neue Erkenntnisse.

Wer zu welchem Zweck und in welcher Reihenfolge durch das neue Fernrohr an den Rand des Universums blicken darf, darüber wacht ein eigens zu diesem Zweck eingerichtetes internationales Expertengremium. Es entscheidet, ob ein Forschungsvorhaben sinnvoll ist. Schon für das erste Betriebsjahr wurden die meisten Anträge allerdings abgelehnt: Hubble war angesichts von mehr als 150 Anträgen aus 30 Ländern dreimal überbelegt. Doch bei einer erhofften Nutzungsdauer von mindestens zehn, vielleicht 15 oder 20 Jahren sollen alle mal durchblicken dürfen. Selbst Amateure wurden aufgerufen, ihre Anträge zu schicken. Joachim Prölls: „Die haben oft einen besonderen Blick auf die Dinge.“

Nachrichtensatelliten werden die HST-Bilder auf die Erde schicken, wo sie schließlich auf einem Fernsehschirm in Maryland erscheinen und gespeichert werden. Die Beobachtungsziele müssen so ausgewählt werden, daß große Schwenks und Kopfstände des Superfernrohrs vermieden werden. Vor allem darf Hubble niemals in die Sonne schauen, dies würde seine hochempfindlichen Meßinstrumente ein für allemal zerstören. Blenden schützen die empfindliche Optik, wenn der Winkel zur Sonne zu eng wird. Falls doch mal ein Instrument ausfällt, soll eine Reparatur aber grundsätzlich möglich sein. Selbst neue Entwicklungen in der Meßtechnik will man nutzbar machen und notfalls nachträglich in HST einbauen.

Nach dem ursprünglichen Fahrplan sollte das Hubble-Teleskop schon seit sieben Jahren um die Erde kreisen. Die Challenger -Explosion hatte die Mission verzögert, denn außer der US -Raumfähre kann keine der heute verfügbaren Raketen als Satelliten-Taxi die schwere Teleskop-Last ins All tragen. Hubble ist 13 Meter lang, hat einen Durchmesser von 4,20 Metern und wiegt mehr als elf Tonnen. Solche Maße sind offenbar notwendig, um Dinge sichtbar zu machen, „von deren Existenz wir noch gar nichts wissen“ (Prölss). Dinge auch, die gar nicht mehr existieren und nur durch die Verzögerung des Lichts noch sichtbar sind.

Manfred Kriener