„Politische Aktion gegen das Volk der Roma“

Ermittlungsausschuß wirft Polizei unverhältnismäßiges Vorgehen bei Razzia gegen Kölner Roma vor / Roma-Verein befürchtet, daß bevorstehende Legalisierung heimatloser Roma hintertrieben wird  ■  Von Bettina Markmeyer

Köln (taz) - „Hier mußte sie stehenbleiben und hat gezittert und gefroren, eine Stunde oder länger!“ Empört demonstriert Frau J. unter dem Vordach ihres Caravans, wie ihre dreijährige Tochter bei der Polizeirazzia am vergangenen Donnerstag vor der Tür stehenbleiben mußte, während Polizisten den Wohnwagen durchsuchten. Ihr wenige Monate altes Baby habe sich in der Zugluft erkältet, als Polizistinnen es aus seinen Windeln wickelten, um diese zu durchsuchen. „Danach wurde es krank, hatte hohes Fieber!“

Auf dem Schiffhof, dem abseits gelegenen Roma-Lagerplatz in Köln-Zollstock, ist, so Susanne Flocke von der Diakonie, „die Stimmung so schlecht wie in den beiden letzten Jahren nicht“. Auch der evangelische Kindergarten am Schiffhof wurde aufgebrochen und durchsucht, einen Durchsuchungsbefehl, so Stadtsuperintendent Manfred Kock, habe es nicht gegeben. „Am Freitag“, sagt Susanne Flocke, „sind dann kaum Kinder hergekommen. Alle hatten Angst vor neuen Durchsuchungen.“

Ihr Mann habe die Sozialhilfe für den nächsten Monat bei sich gehabt, „ich habe jetzt gar kein Geld hier“, erzählt eine Frau, deren Mann verhaftet wurde. Auch Pässe und Führerscheine wurden mitgenommen. Ein jugoslawischer Besucher des Platzes berichtet, daß sein Paß ebenfalls eingezogen wurde und zeigt einen blauen Zettel, das Sicherstellungsprotokoll. Gefunden hat man bei ihm nichts. Ohne Paß kann er nun nicht weg. Erbitterung auch über die Art der Durchsuchung. Eine Zwölfjährige, die Geschirr abwäscht: „Alles kaputt gemacht haben sie im Haushalt.“ Ihre Eltern sind verhaftet, eine alte Frau aus der Verwandtschaft kümmert sich um sie und ihre fünf Geschwister.

Am letzten Donnerstag durchsuchten über 500 Polizisten (insgesamt 1.200 in Köln und anderen Städten) die Wohnwagen auf dem Schiffhof, um Kinderhändler und Hintermänner organisierter Einbrüche zu verhaften und Diebesgut sicherzustellen. 17 Menschen sind noch in Haft, gegen 14 wird wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Systematisch will der Kölner Roma-Verein in den nächsten Wochen die Geschehnisse während der Großrazzia am 5. April aufarbeiten. Gestern stellten Roma-Verein und die Kölner Grünen auf einer Pressekonferenz einen Ermittlungsausschuß vor, der insbesondere die Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes prüfen soll. Ihm gehören unter anderen die Vorsitzende des Kölner Roma -Vereins, Fatima Hartmann, und Bernward Boden von der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten an. Bereits bisher vorliegende Fakten legten nahe, den Einsatz „als gezielte politische Aktion gegen das Volk der Roma zu begreifen“. Das „erklärte Ziel, die Romakinder (vor Kinderhändlern, d.Red.) zu schützen, verkehrte sich ins Gegenteil“.

Durch das Vorgehen der Polizei, das auch durch die zum Teil erheblichen Tatvorwürfe gegen einzelne insgesamt „auf keinen Fall gedeckt“ sei, entstünde in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß die „Lebenszusammenhänge der Roma ein Hort der Kriminalität sind“, sagte die Grünen-Vertreterin und Rechtsanwältin Anne Lütkes. Die Lebensbezüge der Roma würden damit selbst „als kriminelle Vereinigung verunglimpft“. Bernward Boden von den - Kritischen Polizisten erscheinen die Schilderungen der Roma über die Vorgänge auf dem Schiffhof „nicht unglaubwürdig. Aus meiner eigenen Berufserfahrung“, so Boden weiter, „kenne ich die Stimmung bei solchen Einsätzen“. Besonders problematisch sei, daß, Polizisten bis kurz vor der Durchsuchungsaktion nichts über Art und Umfang des Einsatzes wußten. Boden: „Da wird in Kommandomanier durchsucht, anstatt den Beamten vor dem Einsatz zu erklären, was auf sie zukommt.“

Roma-Verein und Grüne fordern, daß beschlagnahmte Sozialhilfe, privater Schmuck und Pässe sofort den Roma zurückgegeben werden sollen. Staatsanwalt Dr. Johannes Wilhelm konnte gestern gegenüber der taz nicht ausschließen, daß sich unter dem beschlagnahmten Geld auch legale Beträge befunden haben. Die Identifizierung des Schmucks „sei furchtbar schwierig“, zweifelsfrei seien bisher Scheckkarten und einzelne Schmuckstücke als gestohlen erkannt. Die Vorwürfe von Roma wegen polizeilicher Übergriffe während des Einsatzes seien jedoch „absolut erstunken und erlogen“. Unklar ließ Wilhelm weiter, wieviele Kölner Roma-Kinder Opfer von Kinderhändlern geworden sein sollen. Die Vorwürfe, so Wilhelm, bezögen sich „auch auf andere Städte“. Die Staatsanwaltschaft müsse Kinder, die ausgesagt hätten, schützen. Genauere Informationen gebe es „zu einem späteren Zeitpunkt“. Die politischen Folgen der Kölner Razzia sind schon jetzt fatal. Der Roma-Verein erklärte, daß „die unmittelbar bevorstehende Legalisierung heimatloser Roma durch die Stadt Köln und die NRW-Landesregierung durch diese konzertierte Aktion von Polizei und Staatsanwaltschaft hintertrieben“ werden solle. „Vier Jahre mühsamer Öffentlichkeitsarbeit“ seien „ausgelöscht worden“, rassistische Reaktionen in der Bevölkerung belegten das. Noch bis zum 30. April können nach dem Bleiberecht-Erlaß des Innenministers de facto staatenlose Roma die Aufenthaltserlaubnis in NRW beantragen. Noch versichert das Inenministerium, daß die Razzia keinen Einfluß auf die Bleiberecht-Anträge haben werde. Über den Einsatz in Köln sei man, so Sprecher Nestler, informiert gewesen. Roma -Verein und Kölner Grüne fordern jetzt eine Stellungnahme von Innenminister Herbert Schnoor (SPD), sowie einen Untersuchungsausschuß im Landtag. Die Kölner SPD hat unterdessen bekräftigt, daß an den Integrationsprogrammen für Roma festgehalten werden soll. Dazu gehören die Auflösung des Ghettos im Schiffhof, feste Wohnungen und eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis.