Allez Hoep!

■ Häupter-Verwaltung Verlage segnete mitteldeutschen Essay

Bernd Heimberger

Das ist ein verdammt veralteter und verfilzter Zopf! Angehängt wurde er dem jüngsten, wie stets pünktlich verspäteten „Kritik„-Band des Mitteldeutschen Verlages. Geflochten hat ihn Klaus Höpcke, der altgediente Ober-auf -Seher der DDR-Literatur und schelmische Schutzpatron staatstreuer wie -verdrossener Schriftsteller. Wissentlich und auch wider besseres Wissen knotete er ins rote Band der Staatsräson einen Zopf aus den Strängen Standpunkt, Streitbarkeit und Subjektivität. Ein Hauch von Haarlack hausgemachter Höpcke-Mischung läßt das ganze Geflecht glänzen. Ein bißchen Kritik pikt die Kritik und die Kritiker, ein bißchen Kichern kommt von der Kanzel, ein bißchen Partei-lichkeit umklammert den Kommentator. Den Schreiber wirds nicht schmerzen, wenn der Zopf entflochten und kräftig durchgekämmt wird. Auch aufgelöst sieht das Vorwort nicht schütter, wenn auch grau aus.

Was der Flechter kraft seiner verlorengegangenen Funktion vor-betete, kann kaum das Ohr der Kritiker erreichen. Durch die tägliche Presse-Praxis an die kurze kritische Leine genommen, transformierten die Rotationsmaschinen die abgelieferten Typoskripte auf die Spannung herunter, von der man meint, daß sie keinen Leser elektrisiert. Die Presse ist nicht erst seit Wochen oder Monaten mein Arbeits-Platz. Ich weiß auch von den Verrenkungen, zu denen Kollegen in den Kulturredaktionen gezwungen waren, wenn sie nicht in der Leserbrief-Redaktion landen wollten. Ich bin auch sicher, daß sich die Herausgeber beschummelten, als sie über die neue Auswahl sagten, sie „legt ... Zeugnis ab vom Stand der Literaturkritik des Jahres 1988“. Korrekterweise müßte es heißen: von einem Zu-Stand der zu-recht-geschneiderten, sprich -geschnittenen, -gestrichenen Kritik.

Wer das Gewerbe bereits eine Weile betreibt, hat nicht übersehen und auch zu spüren bekommen, daß die öffentliche, ver-öffentlichte Literaturkritik in den Jahren, mit den Jahren, souveräner wurde. Zuerst im Hörfunk, als dort „die Wirkungslosigkeit des gesprochenen Wortes“ entdeckt wurde und sich der rezensorische Spielraum weitete. In den Bänden des Mitteldeutschen Verlages war kein Ton davon zu vernehmen. Wie es den Herausgebern dennoch gelungen ist, jährlich „vom Stand der Literaturkritik des Jahres“ Kenntnis zu geben, können sie vielleicht selbst nicht reinen Gewissens beantworten. Ich will den Mannen keineswegs die Ehe abschneiden, denn letzten Endes konnten auch sie nur ernten, was auf publizierten Seiten wuchs.

Ich wette, daß kaum ein Halm, den sie schnitten, alle gereiften Körner enthielt. Ohne Umschweife: Ich glaube nicht, daß ein Viertel der Kritiken in „Kritik 88“ genau die Zeilen wiedergibt, die die Autoren tatsächlich aufs Papier brachten. Kritiker und Kritiken waren in der Mehrzahl besser als die Veröffentlichungen, die eher für Verruf denn guten Ruf sorgten. Das ist keine blinde Behauptung, nicht das Besserwissen eines Betroffenen, schon gar keine selbstgerechte Rechtfertigung. Gesagtes ließe sich beweisen, wenn in einem Jahr nicht die handverlesene Sammlung von Kritiken des 89er Jahrgangs aufgelegt wird. Gescheiter wäre es vielleicht, die Herausgeber sprängen einmal über ihren Schatten und stellten einen korrigierten Band zusammen. Also Kritiken des Jahrganges 1988 oder 1989 in ungekürzten Fassungen. Also einen Band mit den zurückgewiesenen Kritiken. Ein solcher Band könnte spannender sein als alle Bände zusammen, die bisher in der Reihe auftauchten. An Material, vermute ich mal, wird gewiß kein Mangel sein. Es soll doch nicht eingemottet werden, was in Mappen der Kollegen liegt! Oder?

Mitteldeutscher Verlag, Halle, Leipzig, 1989, 236 S., Paperback, 6 Mark.