BÜCHSENBINDUNG

■ Kolonisation im Hochland von Neuguinea - Filme von Robin Anderson und Bob Connolly im Haus der Kulturen

Zwischen vielen Wörtern, die mit Ur- beginnen und der Gegenwart gibt es eine philosophisch errichtete Grenze. Seit Jahrhunderten stabilisiert und konturiert die rückwärtsgewandte Utopie mit häufig wechselnden Motiven die Identität der Zivilisationsangehörigen. Goldenes Zeitalter, Woodstock, Biobewußtsein. Aus dem Jenseits dieser Grenze, einer eigentlich imaginären Zone, gibt es reale Bilder. In Schwarzweiß. Robin Anderson und Bob Connolly haben sie „in sieben rostigen Büchsen“ gefunden und um sie herum einen Film montiert, First Contact.

Im Jahr 1930 suchten Michael, Dan und Jim Leahy als Anführer einer Expedition ins Hochland von Neuguinea nach Gold. Einer der Brüder hatte seine Kamera dabei. Das Gebiet war damals noch ein weißer Fleck auf der Landkarte, in der westlichen Welt wußte man nichts von der einen Million Einheimischen im Zentrum der Insel. Die australischen Kolonisatoren waren die ersten Weißen, die die Hochlandbewohner zu Gesicht bekamen. Die Papua glaubten zunächst an die Rückkehr ihrer Ahnen aus dem Totenreich, entdeckten aber bald (unter anderem durch den Geruch der Scheiße) die Normalsterblichkeit der drei Leahys. In dem Moment begann ein blutiger Handelskrieg, die Papua verlangte es nach den praktischen Eisenäxten der Goldsucher und nach Muscheln, die sie sich gewaltsam anzueignen versuchten. Die Weißen jedoch verbreiteten mit Jagdgewehren die Lehre des Kapitalismus: die begehrten Güter bekamen die Papua fortan nur noch im Tausch gegen Gold, Arbeitskraft und Nahrungsmitteln. Um das Handelsverhältnis dauerhaft zugunsten der Goldsucher zu festigen, trumpften die Leahys mit immer neuen materiellen Versuchungen auf, mit einem Grammophon und schließlich mit einem Freiflug an die Küste. Die Federperücke des auserwählten Jugendlichen hielt kaum dem Luftzug stand, als die Propellermaschine startete.

Connolly und Anderson fanden dieses wahrlich bewegende Material im Keller der Kolonisatoren: Jim und Dan Leahy leben noch. Die Filmemacher haben die Senioren interviewt und sie ihre Version der Expeditionsgeschichte erzählen lassen. Nicht die leiseste Andeutung von Gewissensbissen überschattet die erinnerten „Abenteuer“ im letzten unerschlossenen Gebiet der Erde. We killed them, because otherwise they'd have killed us. Auf den Spuren der Leahys reisten die Filmemacher anschließend durch Neuguinea und fanden in den Dörfern viele Einheimische, die sich an den „first contact“ und „masta mike“ genauestens erinnern konnten. Durch ihre Schilderungen entsteht ein überraschender Effekt. Die historische Kompetenz der Weißen gerät in Bedrängnis, weil die „Quelle“ plötzlich selbst spricht. First Contact ermöglicht einen bemerkenswerten Blick auf den Kolonialismus, vergleichbar mit der legendären Kameraeinstellung, in der das Wohnzimmer durch den brennenden Kamin hindurch beobachtet wird.

Daß sich die Kommentare und Geschichten der Leahys und der Papua widersprechen, erscheint nur logisch. Trotz aller Brutalität, der die Papua im ersten Kontakt mit den Weißen ausgeliefert waren, verzichtet First Contact auf eine simple, naheliegende Konfrontation von Opfern und Vergewaltigern im Angesicht des historischen Filmmaterials. Statt Mitleid, das bekanntlich zur Passivität verurteilt, geben Connolly und Anderson den Papua Raum, ihre Stärken zu zeigen. Dazu gehört vor allem die Rhetorik einer verhaltenen Satire. Zum Beispiel, als drei der ehemaligen Leahy -Mätressen auspacken. Erst hätten sie ja furchtbare Angst vor dem Geschlechtsverkehr mit den Geistern gehabt, erzählen sie kichernd, aber im Akt seien sie schließlich einer höchst profanen Männlichkeit gewahr geworden...

Joe Leahy's Neighbours setzt First Contact quasi genealogisch fort. Joe Leahy ist der Sohn von Michael und einer Papua-Geliebten, von seinem Vater wurde er allerdings nie anerkannt. Joe wuchs bei den Hochländern auf, lernte in Australien das Plantagenhandwerk und kehrte in die Heimat zurück. Zum Zeitpunkt des Films ist er über fünfzig, fett und Mercedesfahrer. Auf dem Gelände des Ganiga-Clans hat er eine profitable Kaffeeplantage aufgebaut: die Einheimischen arbeiten für ihn, bekommen einen Minimallohn und leben in Sichtweite von Joes Villa in armseligen Hütten ein noch sehr traditionelles Stammesleben. Zu dieser Konstellation war es gekommen, weil einst Clan-Führer Tumul dem gebildeten Joe die finanzielle Leitung des Unternehmens übertragen hatte. Die offensichtlich ungleiche Verteilung des Gewinns führte zu ständigen Spannungen und Revolte, die Joe antizyklisch beschwichtigt, mal mit Geld für die Opportunisten, dann mit einem roten LKW. Dieser Kreislauf erscheint keineswegs stabil, weil die Verbitterung der Ganiga von Woche zu Woche wächst. Clan-Führer Tumul: Ich dachte, er (Joe) als Mischling sei einer von uns, jetzt sehe ich, daß er mehr wie ein weißer Mann geworden ist. Wir können mit seinen Sitten, denen eines weißen Mannes, nicht mithalten. Er läßt uns vor die Hunde gehen.

Joe Leahy ist eine tragische Figur. Ein Mischling, fleischgewordene Sünde, der mit seinen Sprüchen den Unternehmern aus aller Welt aus dem Herzen spricht. Ich trage die Verantwortung. Wie sein Vater bestimmt er die Handelsgesetze, nur geschickter. Doch seine mütterliche Herkunft stellt sich ihm bei der gewissenlosen Ausbeutung in den Weg. Joe scheint furchtbar einsam zu sein, vor seinem Satelliten-Fernseher oder wenn er als einziger bei der Beerdigung eines alten Ganiga in ein Taschentuch heult. Eine Personifikation verlorener Unschuld. Doch wieviel weiße Arroganz in der projizierten Sehnsucht zurück nach der Zeit vor der Kolonialisierung verborgen ist, entdeckt der Film mit einer wirkungsvollen Indirektheit. Die Ganiga haben konkrete materielle Bedürfnisse und keinerlei Interesse, als Zoo-Gesellschaft weiterzuleben. Joe ist deswegen nicht nur ihr Chef, er ist auch ein Hoffnungsträger, ihre einzige Verbindung zu einer Welt voller Versprechen von Häusern, Autos und Reisen. Als der alte Clan-Führer stirbt, wählen sie Joe zu seinem Nachfolger. Eine „double-bind„ -Entscheidung.

Während der 18monatigen Dreharbeiten haben Anderson und Connolly in einer selbstgebauten Hütte im Niemandsland zwischen Joe Leahy und seinen Nachbarn gewohnt. Immer wieder wird auf diese sinnfällige „Neutralität“ der Filmemacher verwiesen, die an anderen Stellen allerdings Fragen aufwirft. In manchen Sequenzen vermißt man Informationen darüber, wie sich der Konflikt durch die Anwesenheit der Kamera verändert hat. Abgesehen davon mischt sich in beiden Filmen ein Gespür für das richtige Sujet mit auch ein bißchen Glück zu einer überzeugenden Dramaturgie. Dieser Tatsache verdanken es die Filme, in manchen US-Besprechungen mit Thrillern verglichen zu werden. Dies sei als das spezifisch amerikanische Kompliment für gelungene Dokumentarfilme zitiert.

Dorothee Wenner

„First Contact“, (1983), OF, So, 15.4., 18.30 Uhr.

„Joe Leahy's Neighbours“, (1988), OF, So, 15.4., 20.30 Uhr.