Für ein Kaffeeservice oder eine Schlachteplatte

■ Für 19,90 DM einen bezaubernden Sonntag in Schwerin / Werbefahrt von Neuköllner Bürgern in den unbekannten Osten

Na prima, für 20 DM raus aus Berlin - Schwerin kennenlernen und dazu ein Eßservice als Werbegeschenk. Um 6 Uhr ist der erste Bus schon voll mit sonntäglich gekleideten, glitzerpullibestückten, das Haar mit Brillantine geglätteten Neuköllnern. Der zweite kommt sogleich, und während um die Sitzplätze gestritten wird, erzählt Helmut, der Busfahrer, schon unerträgliche 'BZ'-Witze und bereitet auf den schlechten „Ost„-Service vor. Stimmen von Mitfahrenden: „Kennen wer doch, aber billich isses.“ Zustimmung von allen. Der Fahrer macht Appetit auf seinen Kaffee (Bohnenkaffee, kein so'n Muckefuck), den macht er im Bus mit Amaretto und Schlagsahne. Alle sind begeistert.

Eine Mitreisende erzählt von ihrem neuen Haus; mit Flachdach, weil das billiger ist. Widerspruch von Uschi, neben ihr, selbst Besitzerin einer Laube: „Ja, billiger schon, aber da hast du dann keinen Hängeboden.“ „Stimmt“, meint die andere, „aber wenn's Wetter schön ist, dann haste in so'ner Laube Platz zum Aufhängen.“ Der Mann am Steuer reicht seine „Infrarotbrille“ rum, alle setzen sie auf und können besser sehen, meint Dieter.

Halt im ersten Intershop. Einer verlangt eine Quittung für die 50 Pfennig Toilettengebühr, braucht er fürs Finanzamt. Das ist zuviel für Helmut, der tickt aus, und alle anderen, die im Bus sitzen, mit ihm. Schenken würde er ihm das Geld ja sofort, aber so was, nein - nein! Gesprächsstoff für den Rest der Fahrt. Der Busfahrer hat von einem LKW-Fahrer den Standort der „Ost-Blitzer“ erfahren, jetzt freuen sich alle, daß sie bis dorthin ungestört rasen können. Dann ein bißchen Geplaudere über die Werbung. Immer wenn der Mann am Steuer die Musik anschaltet, glauben alle, daß jetzt Stimmung gemacht werden müsse: „Oh ja, schön, das kenn‘ ich, ist ein toller Song“, und drei Frauen aus der letzten Reihe singen mit.

Noch 10 km bis Schwerin. Wir biegen ab, und es wird klar, daß es vor dieser Werbung kein Entrinnen gibt. Dort angekommen, steht der bierbäuchige „Ostwirt“ mit seinem Personal und den Kindern der Gemeinde an der Tür und entbietet sein Willkommen. In einem Raum, dessen bunte Lichter auf den Dorftanz von Samstag abend hinweisen, empfängt Gunnar. Gunnar ist Werber, der der Gruppe die nächsten fünf Stunden an den Fersen, den Hirnen und den Geldbeuteln haften bleibt. Einer, der an Quacksalber aus Wildwestfilmen erinnert, die den armen Siedlern das Geld aus der Tasche ziehen, indem sie Wundermittel gegen Unglück, Krankheit und Tod verkaufen. Sobald sie das Geld haben, machen sie sich aus dem Staub.

Gunnar erzählt von Tod durch Federbetten, Computertomographie, Magnetfeldern, Astronauten, dem Junggesellendasein, seinem, Selbstheilungsorganismen - und, und, und. Man bietet ihm die Krankheiten und er das Wundermittel: Magnetfeldtherapiebettüberzüge aus Lamahaar in beige! Unverzichtbar und alles wieder gutmachend. Einer aus dem Publikum brüllt etwas von „Schwindel, hab‘ ich beim letzten Mal gekauft, hilft nix!“ und erhält von einem Mitarbeiter Gunnars eine Rüge. Während der noch Magnetarmbänder und kleine Therapien und Kräuterelexiere verschachert, stehen draußen die, die wegen der billigen Bierpreise mitgefahren sind. Hier wird rotwangig und bierbächig den „armen Ostlern“ ein Bier spendiert - kostet ja nix. Kleine Geschäfte werden angeleiert, Osterquartiere für eine Fahrt im Westauto eingetauscht und Ost-Eier von freilaufenden Hühnern an die Westgäste verschenkt, weil die so spendierfreudig sind. Es bleiben noch zwei Stunden für Schwerin und dann geht die Fahrt wieder nach Berlin. Ohne Eßservice übrigens, die Werbeagentur hatte zu wenig dagelassen, Aldi-Wurstdosen (die Schlachteplatte) könnten dafür mitgenommen werden. Erleben sie einen erholsamen Sonntag in Schwerin, der Stadt der Seen. Ein weiterer Beitrag zur deutsch-deutschen Annäherung.

Annette Weber