Seelische Kreuzigung

(Ein kurzes Leben lang, Freitag, 20.15, ARD) Zu Beginn ist eines klar. Binnen weniger Jahre wird ihr Sohn Peter (Corey Haim) an den Folgen einer unheilbaren Muskel-Dystrophy sterben. Unruhig wälzt Mary-Lou Weisman (Liza Minelli) sich im Bett, bis sie von der knarrenden Stimme aus der Sprechanlage geweckt wird. Verschlafen, mit einem mechanischen Lächeln auf den Lippen, das doch irgendwie herzlich wirkt, eilt sie ins Kinderzimmer. Rund um die Uhr braucht Peter Pflege und Fürsorge. Sie muß ihn waschen, anziehen, ihm Geschichten erzählen. Sie muß ihn bei Laune halten, ihn unablässig aufmuntern, unermüdlich den Clown spielen, weswegen sie ihre eigene Niedergeschlagenheit stets verbergen muß. Mary-Lou ist regelrecht Sklave ihres Kindes; ihr Privatleben und ihren Job als begehrte Journalistin kann sie vergessen. Vielleicht spielt die mittlerweile etwas pummelig gewordene Liza Minelli die Rolle der manischen Mutter deswegen so überzeugend, weil sie, wie die Boulevardpresse eilfertig ausschlachtet, drei Fehlgeburten hinter sich hat?

„Alle Mütter, die wegen ihres todkranken Kindes an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden, lade ich im Nachbarraum zu einer Runde Russisches Roulette ein“, erklärt Mary-Lou auf dem Rednerpult des Frauen-Journalistentages. Den zynischen Ausruf der Verzweifelung formuliert sie allerdings nur in der Phantasie. Bei der Darstellung der Realität scheut der Film das Ausmaß des Konflikts. Station für Station klappert die Story auf dem Weg zum unvermeidlichen Ende die Problemfelder des melodramatischen Familienschicksals ab, ohne sich dabei mit einer kritischen Message über den biederen Horizont des Familienkosmos‘ hinauszuwagen. Etwas blutleer, das Ganze. Keine Anspielung auf Gentechnologie, kein Contergan-Skandal - ein bißchen Rollstuhlfahrerdiskriminierung und ansonsten: Schicksal. Überzeugen kann lediglich die mit subtilem Humor angelegte Szene beim Wunderheiler, der sich von einer imaginären OP -Schwester das unsichtbare Besteck reichen läßt. Sodann die Sterbeszene: „Ich werde es mit Bravour tun“, käut Peter die John-Wayne-mäßige Durchhalteparole wieder, nachdem er sich das Beatmungsgerät hat abstellen lassen. Gerade spät genug, damit die Euthanasie-Debatte in den Startlöchern bleibt. Nichts für unruhige Zeigefinger auf der Fernbedienung.

Manfred Riepe