Bittere Erfahrung, süße Verwirrung

■ David Mamets „Things Change“

Gerhard Midding

Nachdem ein großer amerikanischer Verleiher so wenig Glück mit dem Erstlingswerk dieses kommerziell schwer kalkulierbaren Regisseurs hatte, verließ einen anderen großen amerikanischen Verleih sehr schnell der Mut, als es darum ging, dessen zweiten Film in die Kinos zu bringen. Schon vor mehr als einem Jahr sollte er wahlweise unter den Titeln Things Change - Mehr Glück als Verstand und Wo bitte geht's zum Knast? verschleudert werden. Dann zog ihn der US-Major ganz zurück, da half auch der Darstellerpreis nichts, mit dem die beiden Protagonisten in Venedig ausgezeichnet worden waren. Nun hat sich ein kleiner deutscher Verleih ein Herz gefaßt und startet ihn, überdies gleichzeitig mit der Wiederaufführung des Regieerstlings.

Nach der erzählerischen Strenge von David Mamets Haus der Spiele gibt sich Things Change den Anschein eines leichtfüßigen Divertissements: eine harmlose Hochstaplerkomödie, deren Schlußeinstellung wirkt wie der vertraute Schlußsatz eines Kindermärchens. Die Komik funktioniert gemäß der Dramaturgie des Kulturschocks und folgt den Regeln des „fish-out-of-water„-Genres, das sich heimlich zur erfolgreichsten Gattung des US-Kinos der achtziger Jahre entwickelt hat: Gino (Don Ameche), ein alter Schuster aus kleinen Verhältnissen, besitzt Ähnlichkeit mit einem Mafiaboß, der unter Mordanklage steht. Dessen Partner schlagen ihm einen Handel vor: wenn Gino den Mord gesteht, wird er nach Abbüßen einer kurzen Haftstrafe fürstlich entlohnt werden und kann sich seinen Traum, sich auf ein Boot in seiner Heimat Sizilien zurüchzuziehen, erfüllen. Der alte Mann läßt sich auf den fatalen Handel ein. Die ihm noch verbleibenden Tage in Freiheit soll er unter Aufsicht Jerrys (Joe Mantegna) verbringen, eines Grünschnabels, der sich in der Mafiahierarchie vom Kleingangster zum Tellerwäscher heruntergearbeitet hat und auf eine Chance zur Bewährung hofft. Doch anstatt seinem Schützling dessen falsches Geständnis in einem schäbigen Hotelzimmer einzutrichtern, will er ihm lieber noch ein flottes Wochenende in Lake Tahoe verschaffen, an das er sich während seines Gefängnisaufenthalts erinnern kann. In Tahoe wird der alte Schuster tatsächlich für einen Mafiaboß gehalten: Im besten Hotel am Platz rollt man ihm den roten Teppich aus, er bezieht zusammen mit seinem vermeintlichen Leibwächter die Luxusetage und erhält im Casino unbegrenzten Kredit. Brenzlig wird die Situation erst, als er eine Einladung auf den Landsitz des ortsansässigen Mafiachefs erhält. Über aller Situationskomik (Mamet läßt gar seinen hartgesottenen, rücksichtslosen Betrüger aus dem Haus der Spiele, Joe Mantegna, in den Fallstricken des Slapstick zappeln) schwebt ein Damoklesschwert, dessen Schneide sich nicht allein daran schärft, daß die Hochstapelei in jedem Augenblick auffliegen kann. Nein, bei all dem läßt sich vor allem eine furchtbare Ahnung niemals aus dem Hinterkopf verscheuchen: Gino wirkt so verdammt alt und zerbrechlich, wie soll er überhaupt eine Gefängnisstrafe überleben? Selten verlangte eine amerikanische Komödie derart unvermittelt von ihrem Publikum, sich in die Lebenserwartungen und -träume eines Greises hineinzuversetzen.

Things Change bereitet dem Zuschauer, der Mamets Regiedebüt kennt, ein Deja-vu-Erlebnis. Die Darsteller der Betrügerclique aus Haus der Spiele sind in die mittleren und höchsten Ränge der Mafia-Hierarchie aufgestiegen und eine Vielzahl vertrauter Erzählmomente lebt im neuen Film wieder auf. Ein unschuldiger Außenseiter wird in eine gefährliche Welt verschlagen, die ihre eigene Sprache besitzt und ihren eigenen, geheimen Regeln gehorcht. Und wieder hinterfragt Mamet den Ehrenkodex einer exklusiven, nahezu hermetisch abgeschlossenen Männergesellschaft. Mamet desavouiert die großen Gesten und Phrasen der Dons, indem er sie mit dem trivialen Geschwätz ihrer Dienstboten und Schergen konterkariert.

Seine zweite Regiearbeit vereint Mamet auch wieder mit der Cutterin, dem Ausstatter, dem Produzenten und nicht zuletzt dem Kameramann seines Debüts. Nun bleibt die elegante Wendigkeit von Juan Ruiz Anchias Kamera allerdings nicht mehr im Vorzeigegestus gefangen, sondern wird geschmeidig in den Fluß der Szenen eingebettet. Die dramatischen Hell -Dunkel-Kontraste sind einem beruhigten Chiaroscuro gewichen, in dem warme Brauntöne vorherrschen. Die Drehbuchkonstruktion mag auch in Things Change noch allzu kalkuliert wirken. Der regieführende Drehbuchautor Mamet ist inzwischen jedoch eindeutig hinter den Schauspielerregisseur zurückgetreten. Daß die Hochstapelei im Hotel in Lake Tahoe so trefflich funktioniert, verdankt sich weniger einem brillanten Drehbucheinfall als vielmehr der natürlichen Würde Don Ameches. Er ist derart überzeugend, daß ihm sogar die ehrfürchtigen Hotelangestellten, die er bei seiner überstürzten nächtlichen Abreise zufällig an einer Tankstelle trifft, bereitwillig aus einer finanziellen Verlegenheit helfen. Wie wenig die Noblesse, die diesem bemerkenswerten Schauspieler zu eigen ist, eine Frage der Alterswürde ist, davon kann sich das geneigte Publikum in Midnight (Enthüllung um Mitternacht), einer weiteren Hochstaplerkomödie, in der Ameche vor gut 50 Jahren unter der Regie von Mitchell Leisen nach einem Drehbuch von Billy Wilder spielte, überzeugen.

Ameches Gesicht ist von der unergründlichen Traurigkeit des großen Stummfilmkomikers, in der noch die geringste Gefühlsregung fasziniert und anrührt. Ihm gelingt der Balanceakt, das mal überschwengliche, mal schwermütige Einverständnis seiner Figur mit den unberechenbaren Launen des Lebens untrennbar miteinander zu verweben. Naivität und Lebensweisheit verschmelzen miteinander, wenn er sich darauf einläßt, das Leben (nicht: noch einmal, sondern: zum ersten Mal) in vollen Zügen zu genießen und dabei doch niemals vergißt, daß ihn alle Welt nur deshalb so zuvorkommend behandelt, weil man ihn für einen der Reichen und Mächtigen hält. In seine Beziehung zu dem von Joe Mantegna gespielten Kleingangster gerät nie eine falsche Note der Sentimentalität und in Ameches Interpretation gewinnt sogar der strenge Rhythmus der Mametschen Dialoge Witz, wenn er beharrlich versucht, sich den Worlaut seines Geständnisses („Und dann habe ich den verdammten Hurensohn über den Haufen geschossen!“) einzuprägen. Seinen schönsten Moment hat er aber in der Szene, in der er sich entschließt, auf den Handel einzugehen. Im Augenblick der Entscheidung wirft er einen langen begehrlichen Blick auf die Geliebte des Mafiabosses, in dem sich die bittere Erfahrung eines einsamen Lebens mit der süßen Verwirrung eines Halbwüchsigen vereinigt.