Wohnmaschinen als Elysium

■ „Die Moderne als Illusion“ - Ein Buch über Architektur im Film

Zwar füllen immer noch hauptsächlich Schauspieler- und Regisseurmonographien die Regale einschlägiger Buchhandlungen, und das Erscheinungsdatum der ersten Studie über einen Kameramann, einen Drehbuchautoren oder gar Cutter liegt sicher noch in weiter Ferne, aber so langsam setzt sich selbst auf dem Filmbuchmarkt die Erkenntnis durch, daß Film eine kollektive Kunst ist. Immerhin sind in jüngster Zeit gleich zwei Publikationen erschienen, die sich der Bedeutung der Filmarchitektur widmen. Der ersten, Helmut Weihsmanns Gebaute Illusionen, ist nicht zu trauen: sie ist kaum mehr als eine Kompilation bekannter und unbekannterer Textquellen, die sich überdies immer dann, wenn sie populär wirken will, allzuviele geschmackliche Ausrutscher gestattet.

Donald Albrechts Designing Dreams, von Ralph Eue übersetzt und im Birkhäuser Verlag herausgegeben, will im Gegensatz zu Weihsmanns Buch keine stilhistorische Untersuchung der gesamten Filmarchitektur leisten. Im Rahmen seiner thematischen Eingrenzung - Albrecht beschäftigt sich mit der Bedeutung der Moderne für die Filmausstattung vermag er die ästhetischen und gesellschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen Real- und Filmarchitektur jedoch weitaus präziser zu beschreiben. Albrechts skizziert Aufstieg und Niedergang der Moderne, die auf der Suche nach dem Geist des Maschinenzeitalters mit traditionellen Vorstellungen über Raumgestaltung, Formgebung und Materialverwendung brach, als Chronik ihrer Popularisierung durch Ausstellungen (u.a. Paris 1925, Chicago 1933), Manifeste und die Massenmedien des frühen 20.Jahrhunderts.

Seine Auseinandersetzung mit der Filmarchitektur unterwirft er drei Kategorien. Zunächst bewertet er ihre architektonischen Qualitäten. Sodann untersucht er, wie sie zum Ausdrucksmittel, zum erzählenden Moment geworden ist, das sich Thema und der Charakterisierung der Figuren dienstbar macht. Schließlich überprüft er, inwieweit sie kollektive Traumvorstellungen vom modernen Leben reflektieren. Albrecht verfolgt den Mythos Moderne in seine vielfältigsten und überraschendsten Topoi (besonders interessant sind die Kapitel über Schlafzimmer, Bäder und Ozeandampfer). Das US-Kino der Depressionszeit liefert ihm hierbei die eindeutigsten Befunde für die Umdeutung und das Mißverstehen der modernen Architektur im Hollywoodkino. Die Utopie der Moderne - eine egalitäre Welt zu schaffen - wurde in ihr Gegenteil verkehrt: ihre stilistische Eleganz wurde zum glanzvollen Insignium von Reichtum und sozialer Mobilität, die „Wohnmaschinen“ (Le Corbusier), die jedermann zugänglich sein sollten, wurden zum „Elysium vermögender Nonkonformisten“ (Albrecht). In dieser Hinsicht ist der Untertitel der deutschen Ausgabe ungleich präziser als der des Originals.

Albrecht ist von Haus aus Architekt und betreut als Kurator am „American Museum of the Moving Image“ den Bereich „Production Design“. Der erklärte Kinonarr muß sich nicht vom Kothurn einer traditionellen Kunst herabbegeben; er gesteht den Filmarchitekten zu, daß sie die Popularisierung und stilistische Ausformulierung der Moderne ebenso vorangetrieben haben wie die realbauenden Architekten. Dementsprechend feiert er auch die vereinzelten Kinoarbeiten avancierter Architekten wie Robert Mallet-Stevens als entscheidende Wegschritte und faßt die von den stilbildenden Ausstattern der Filmstudios geprägte Phase als die glänzendste und faszinierendste in der kurzen, aber heftigen Liaison zwischen Moderne und Film auf. Dem cinephilen Leser mag manche Ausführungen Albrechts zu umständlich sein, oft gelingen ihm aber erstaunlich treffende Beschreibungen eines Regiestils (Lang, Lubitsch), und er versteht es, eine spezifische Studioarchitektur dem Leinwandimage eines Stars (Garbo, Swanson) zuzuordnen.

Ralph Eues Übersetzung ist zumeist begriffssicher. Die Fülle sich überlagernder Fachtermini wie „art director“ oder „production designer“ verwirrt ihn keinesfalls - er vertraut auf den Ausdruck „Filmbildner“. Es gelingen ihm auch einige hübsche Übertragungen, wenn Albrecht beispielsweise den Humanismus Rene Clairs als „whimsical“ charakterisiert, deutscht Eue dies als „verschmitzt“ ein. Er hat die Deutsche Ausgabe um die Selbstzeugnisse der wichtigen deutschen Stummfilmarchitekten eher erweitert als ergänzt. Diese selten ausgeschöpften Quellen - anschauliche, lebendige Schilderungen und Manifeste - belegen zwar die zentrale Bedeutung, die der Architektur in dieser Epoche zukam, für Albrechts Argumentation sind sie freilich immer erheblich. Eine ähnliche, wenn auch geringfügigere, Akzentverschiebung weist die Illustrierung des Buches auf, die niemals zum den Text erdrückenden Selbstzweck wird und auch dankenswerterweise nie eine bloß kulinarisch motivierte Schaulust bedient. Dennoch: so einprägsam die ergänzten Szenenfotos oder die Skizzen eines Robert Herlth oder Otto Hunte sein mögen, so bedauerlich ist die Aussparung der Abbildungen einiger realarchitektonischer Vorbilder für Filmbauten, zumal diese explizit im Text angesprochen werden.

Gerhard Midding

Donald Albrecht: „Architektur im Film . Die Moderne als große Illusion“, übersetzt und herausgegeben von Ralph Eue, Birkhäuser Verlag, 148 DM.