GI Harris auf verlorenem Posten

Der Ostermarsch der hessischen und thüringischen Friedensbewegung führt nach „Point Alpha“, dem Vorposten der „freien Welt“ bei Hünfeld / Nach dem Abzug der Amerikaner soll dort ein internationales Begegnungszentrum errichtet werden  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Hünfeld (taz) - „Point Alpha“ wirkt an diesem warmen Frühlingsnachmittag wie ausgestorben. Das „stars-and -stripes„-Banner hängt schlaff an der Fahnenstange - und unter dem mächtigen Wachturm aus Stahl und Beton tummeln sich die Wildkaninchen. Der exterritoriale Vorposten der Vereinigten Staaten von Amerika im osthessischen Rasdorf bei Hünfeld, hart an der noch existierenden Grenze zur noch existierenden DDR, scheint ein Ort des Friedens geworden zu sein: Kein Stiefelscharren dringt aus den Nato-blau gestrichenen Baracken, kein Tellergeklapper aus der kleinen Kantine, in der 28 Jahre lang die Männer der ruhmreichen 1. Schwadron des 11. ACR (Regiment „Ironhorse“) mit Trashfood für den Kampf gegen die „commies“ gestärkt wurden.

Am mit Ketten gesicherten Tor zum „Point Alpha„-Gelände findet sich dann doch ein Mensch in der Einsamkeit: US -Soldat Harris von den Virgin Islands schiebt unbewaffnet Wache auf diesem äußersten Vorposten der freien Welt. Harris langweilt sich zu Tode, denn zum „Arsch des Westens“, so Gerald Flinner von der osthessischen Friedensinitiative, verirrt sich so leicht kein Wanderer. Und die Zeiten haben sich geändert. Der deutsche Besucher bringt dem dankbaren schwarzen GI die „Lucky Strikes“ mit - und Harris plaudert los, über Gott und die Welt im allgemeinen und über den Sinn seines Handwerks im besonderen: Er stehe nach wie vor im Wald, um Westdeutschland vor der Sowjetunion zu schützen, denn die commies seien im Reiche des roten Zaren noch an der Macht. Harris grinst, schiebt seine Mütze nach hinten und sagt: „Yeah, man!“ Und ansonsten sagt Harris, daß er nichts sagen dürfe, über die Anzahl seiner Kameraden auf „Point Alpha“ oder die neuen „orders“ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Fast drei Jahrzehnte lang standen sie sich in Rufweite gegenüber: die US-Amerikaner auf einem post-modernen Gerüst

-und die DDR-Grenzsoldaten auf einem weißgetünchten, schornsteinähnlichen Gebilde, Auge in Auge mit dem Klassenfeind. Deshalb sei „Point Alpha“ ein Ort der psychologischen Kriegsführung, meint Gerald Flinner, der als Sprecher der Arbeitsgruppe „Point Alpha“ innerhalb der osthessischen Friedensinitiative den Ostermarsch auf den grenznahen Feldherrenhügel vorbereitet. Über die Jahre wurden hochrangige Militärs und US-Politiker gleich dutzendweise auf den Beobachtungsturm geschleppt - von Edward Kennedy bis Kaspar Weinberger, von Fünfsterne -Generälen der Nato bis hin zu Kongreßabgeordneten aus Washington. Der Blick von „Point Alpha“ auf Stacheldraht und Todesstreifen zum Zwecke der Aufladung des persönlichen Haßakkumulators - oder als moralischer Vitaminstoß für das Selbstbewußtsein der führenden Männer der westlichen Führungsmacht.

Das „stars-and-stripes„-Banner an der Zonengrenze signalisierte den commies auf der anderen Seite überdeutlich, daß hier am „Point Alpha“ eben diese westliche Führungsmacht zur Verteidigung der westlichen Welt Gewehr bei Fuß stand. Nicht umsonst hielt dort das glorreiche 11. Regiment die Stellung, das an US-Feiertagen exakt fünf „Schlachtfahnen“ hissen kann - Auszeichnungen für den Krieg gegen die Apatschen Gironimos, für die Jagd auf den Sozialrevolutionär Pancho Villa in Mexiko, für den Sieg in der Ardennen-Schlacht des II. Weltkriegs und zuletzt für Einsätze in Korea und in Vietnam.

Die „Ironhorses“ gelten als Elitesoldaten. Sie sichern eine Grenze, die bald keine mehr sein wird. Und hinter den Kulissen streiten sich die Generäle des 5. US-Corps (Hessen) und des 7. US-Corps (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) schon darum, wer demnächst im Rahmen der von US-Präsident Bush angekündigten Reduzierung wird abziehen müssen. „Point Alpha“ jedenfalls scheint zur Disposition zu stehen. Welchen militärischen Nutzen sollte auch ein Beobachtungsposten mitten in Deutschland noch haben? Die Friedensbewegung in Osthessen und in Thüringen will nach dem Tag X aus „Point Alpha“, dem Ort der äußersten Konfrontation, einen Ort der internationalen Begegnung machen - „im Sinne eines sozialen, ökologischen und friedlichen Miteinanders“. Dieses „Zentrum des friedlichen Internationalismus“ soll grenzüberschreitend ein gleichgroßes Gebiet auf dem Territorium der Noch-DDR umfassen und somit auch ein Symbol gegen den wiedererwachenden deutschen Nationalismus darstellen.

Die Friedensbewegung in Osthessen weist in ihren Flugblättern erstmals auf die eigentlichen Ursachen für die Errichtung von „Point Alpha“ durch die US-Militärs hin: „Dieser Ort, wie er jetzt besteht, ist primär eine Konsequenz des deutschen Nationalismus in seiner faschistischen Epoche von 1933 bis '45.“ Im Wächtersbacher Headquarter der Friedensbewegung meint deren Sprecher Flinner denn auch, daß es ein Fehler gewesen sei, in den letzten Jahren bei den Ostermärschen ausschließlich gegen die Präsenz der US-Militärs demonstriert zu haben. Flinner: „Das hat der Bewegung geschadet. Wir hatten halt zu viele falsche Freunde“. Doch auch angesichts der nationalen Welle könne die Forderung heute nicht einfach lauten: „Amy stay here“. Das neue Zauberwort heißt „Entmilitarisierung“. Ein „entwaffneter Friede“ sei möglich, wenn er nur gewollt werde. US-Soldat Harris jedenfalls - befragt nach dem Abzug der GIs aus Osthessen - zuckt nur die Schultern: „No comment“.

Den schlacksigen Jungen von den Islands interessiert ohnehin nur eine Sache wirklich, nämlich, ob es in dem Kaff am Fuße des „Point Alpha“ eine Disko gibt oder nicht - „Keep on rockin‘ in a free world!“