Schlangestehen für die weite Welt

■ Bürokratisches Marathon für DDR-Bürger in der französischen und italienischen Botschaft

Ost-Berlin (taz) - Dicke Luft und frustrierte Gesichter empfangen den Besucher in den Konsularabteilungen der italienischen und französischen Botschaft in Ost-Berlin. Eine Schlange aus DDR-Bürgern kringelt sich den engen Treppenflur zu den im Hinterhaus gelegenen Visaabteilungen der beiden Vertretungen hinauf. Dabei wollen die Leute nur ein Visum beantragen oder abholen. Manche stellen sich bereits um zwei oder drei Uhr in der Frühe an, denn wer nach acht Uhr kommt, hat keine Chance mehr.

Seit Wochen täglich die gleiche Situation - auf den kleinen Infozetteln der Botschaften liest man wütende Worte. Wer erst nach Berlin anreisen muß, kennt oft nicht die genauen Öffnungszeiten und muß frustriert wieder abreisen. „Von einem gemeinsamen Haus Europa kann ja hier kaum die Rede sein, höchstens von der Schikane weltumspannender Bürokratie“, schimpft eine Frau, und ein junger Mann pflichtet ihr bei: „Ätzend, das alles!“. Von neun bis zwölf Uhr arbeiten die Konsularabteilungen nur, und deshalb werden täglich bloß zwischen 45 und 100 Anträge bearbeitet.

Frankreich bietet den DDR-Touristen wenigstens eine unkomplizierte Einreise bis zu 48 Stunden direkt an der Grenze an, doch Italien hat inzwischen sogar die Einreise über Reisegesellschaften fast unmöglich gemacht. DDR -Touristen, die nicht über ein gültiges Einreisevisum verfügen, müssen gnadenlos den Reisebus verlassen. Die italienische Botschaft in Ost-Berlin verweist auf bisher fehlende Vereinbarungen zwischen beiden Staaten, doch selbst für Italiener ist es einfacher, in die DDR einzureisen, als umgekehrt für DDR-Bürger, nach Italien zu fahren. Ein DIN-A -4-großer Antrag in dreifacher Ausführung ist auszufüllen, drei Paßbilder sind einzureichen, und eine vom Bürgermeister oder ähnlich glaubwürdigen Institution des Landes beglaubigte Einladung ist vorzuweisen. Bei Privatreisen muß außerdem bei der Einreise ein festgesetztes Mindestguthaben an Devisen pro Tag nachgewiesen werden, für Italien beispielsweise 80 D-Mark. Was die DDRler hier erleben, ist eine Fortsetzung altgewohnter Reisebehinderungen.

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